Garou
in der Mitte des Sees und witterte. Der Wolf würde ihm auf das Eis folgen, so viel war klar. Auf das glatte Eis. Der Wolf konnte nicht anders. Aber der Wolfstand noch immer auf seinen zwei ungelenken, unpraktischen Menschenbeinen. Wenn er stürzte, würde Ramses angreifen. Wenn nicht...
Die rote Spur züngelte um Ramses' Hufe. Sie lockte den Garou. Schließlich zog sie ihn hinauf auf das Eis. Kein Schaf, das seine weichen Raubtierbewegungen sah, hätte ihn so einfach für einen Menschen gehalten. Schauer strichen über Ramses' Nacken, aber er blieb stehen und senkte seine kleinen Hörner. Auf einmal hörte er... Musik vielleicht.
»Fall!«, dachte Ramses, als der Wolf in einen lockeren Trab fiel.
»Fall!«, als das Messer aufblitzte, grau und klar wie der Himmel.
Aber der Wolf fiel nicht. Der Wolf rannte, und, unendlich langsam, kam er auf Ramses zu.
Ramses' Hufe bohrten sich in das Eis.
Dann ein lauter Knall. Ein Schuss?
Eine Schar Krähen schnitt durch den Himmel.
Der Garou stand still. Er blickte nach unten, dort wo sich das blinde Eis spaltete und Dunkelheit hervorquoll.
Der Garou gab einen winselnden Laut von sich und sank auf die Knie. Das Eis lachte und brach, ein Labyrinth von Lachfalten auf der weißen Haut des Sees.
Dann geschah etwas Seltsames.
Das Messer des Garou hatte Ramses vergessen und hackte verzweifelt auf die Dunkelheit unter ihnen ein. Eis schrie und zerriss.
Der See streckte seine dunklen, hungrigen Finger nach Ramses aus, und der junge Widder vergaß den Garou, vergaß alles, sogar die Angst, und galoppierte auf das Ufer zu, so schnell er konnte. Kälte griff nach seinem linkem Hinterhuf, aber er schüttelte sie ab und rannte weiter, schneller als Kälte und Eis, so lange, bis weicher Schnee sich um seine Hufe schmiegte.
Draußen auf dem See war nichts mehr. Kein Wolf. Kein Mensch. Nur ein Loch wie ein gezahnter Rachen und die rote Spur, die sich in der Dunkelheit verlor.
Doch am Rande des Sees saß ein roter Fuchs und blickte mit einem seltsamen Ausdruck in den Augen zu dem Loch hinüber.
Ramses drehte dem See den Rücken zu und trabte los. Heraus aus dem Wald. Zurück auf die Weide.
Nach Hause, wo eine schläfrige Herde und eine sehr erschöpfte Rebecca am Schäferwagen auf ihn warteten.
25
»Deswegen hat er den Mond angeheult!«, sagte Madouc nachdenklich. »Der Mond ist ein Ziegenkäse! Ein Ziegenkäse, den er nicht einpacken konnte!«
Die Schafe machten skeptische Gesichter. Die Theorie vom Ziegenkäsemond war mehr als umstritten.
Es lag schon einige Tage zurück, trotzdem waren die Schafe noch immer dabei, die vielen Dinge wiederzukäuen, die seit Vollmond auf ihrer Weide passiert waren.
»Ich glaube nicht, dass Eric den Mond angeheult hat«, sagte Miss Maple.
»Aber...«, blökte Heide. Immer glaubte Maple alles nicht!
»Ich glaube, dass sein Hund den Mond angeheult hat«, erklärte Miss Maple. »Der Wolfhund, von dem Mopple erzählt hat.«
»Weil der Mond ein Schaf ist?«, fragte Cordelia.
»Weil er einsam war«, sagte Miss Maple. »Wenn der Garou jagte, war sein Hund allein.«
Die anderen nickten weise, kauten vorsichtig und hielten sich vom Weidezaun fern. Sie waren noch immer etwas nervös. In den letzten Tagen war auf dem Hof der Teufel los gewesen, und leider nicht in Gestalt eines freundlichen Herren mit Hufen und Hörnern.
»Die Teufel«, murmelte Maple auf einmal. Vor Nachdenken und Kombinieren kam sie zurzeit kaum zum Grasen. »Mama hat Recht - die Karten helfen einem wirklich zu sehen. Man muss nur wissen, wie: drei Teufel - und keiner war an allem schuld, aber jeder an ein bisschen etwas. Der Garou an den Rehen und früher an Schafen und Menschen. Mit dem Garou hat alles angefangen. Dann kamen die Spaziergänger und haben ihn nachgeahmt. Und der Ziegenhirt hat Yves erschossen, aber eigentlich wollte er den Garou erschießen!«
Malonchot hatte lange mit Rebecca gesprochen und ihr alles erklärt. Dann waren auf einmal viele Mützenmänner aufgetaucht und hatten angefangen, Menschen mitzunehmen.
Zuerst die beiden Spaziergänger, die sich gegenseitig die Nasen blutig geschlagen hatten, später den Häher mit einer Binde um den Kopf, die Plin und zwei Tage später Eric, den man im See gefunden hatte, bleich und ausgesprochen steif. Die Schafe hatten ein wenig Angst gehabt, dass die Männer in ihrem Enthusiasmus auch Rebecca mitnehmen würden.
Doch Rebecca blieb.
Hortense war viel bei ihr im Schäferwagen gesessen und hatte geheult und
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