Gartenschläfer: Der zweite Fall für Franca Mazzari (German Edition)
stand am Herd und wärmte Milch. Das dumpfe Gefühl, dass etwas ganz und gar nicht in Ordnung war, wurde übermächtig. Mit klopfendem Herzen stieß es die Tür zum Wohnzimmer auf. Sein Blick streifte das Klavier mit dem heruntergeklappten Deckel. Der Hocker war umgefallen. Der Teppich darunter schlug Wellen.
Das Mädchen lief treppauf, treppab. Im ganzen Haus suchte es nach seiner Mutter, doch sie war nirgends zu finden. Aus seinen Augen sprangen Tränen. Alles Klagen und Heulen nützte nichts. Seine Mama war verschwunden.
Das, was ihm blieb, waren sehnsüchtige Bilder im Kopf. Und ein Loch im Herzen. Eine offene Wunde, die sich einfach nicht schließen wollte.
Erster Teil
1
Januar 2007
Karim war gegangen. Sie wusste es sofort, als ihre Hand neben sich im Bett ins Leere fasste. Panik überfiel sie. Warum tat er das? Er wusste doch, dass sie ihn brauchte. Alles fiel in sich zusammen, wenn er nicht da war. Ihr Herz begann heftig zu klopfen. Ein eiserner Ring legte sich um ihre Brust, der ihr schier die Luft zum Atmen nahm. Sie drehte sich auf den Rücken und starrte in die Dunkelheit. Tränen krochen ihre Wangen hinunter wie kleine Käfer.
Lilly verstand nicht, warum es immer so endete. Sie verstand noch nicht einmal, warum sie beide sich jedes Mal mit dieser Heftigkeit stritten. Ihre Streitereien verschlimmerten sich im gleichen Maße, wie die Anlässe nichtiger wurden. Weshalb hatten sie sich eigentlich diesmal gestritten? Wahrscheinlich war es wieder einmal darum gegangen, dass sie sich von Karim kontrolliert fühlte. Dass er ihr sagen wollte, was sie zu tun und zu lassen hatte. Etwas, das sie sich einfach nicht bieten lassen konnte.
Böse Worte waren gefallen.
Hure.
Scheißtyp .
Schlampe.
Du kotzt mich an.
Und du mich noch viel mehr.
Sie schämte sich, wenn sie darüber nachdachte, was für ein Vokabular sie sich im Umgang miteinander angewöhnt hatten. Dabei liebten sie sich doch.
Oder nicht?
Ein Wort war dem anderen gefolgt. Mit schrillen Stimmen geäußerte Vorwürfe waren wie Pingpongbälle hin und her geflogen. Ein Aufschlag heftiger als der andere. Die Gesichter in hässliche Fratzen verwandelt.
Natürlich hatte sie gewusst, dass es falsch war, so zu reden, sich so heftig anzuschreien. Doch sie hatte nichts dagegen tun können. Wie eine Welle überrollten sie manchmal Wut und Zorn, eine mächtige Woge, die nicht mehr zu stoppen war. Und zum Schluss versuchte jeder nur noch, den anderen zu übertrumpfen.
Ihr Mund war ausgedörrt. Beim Schlucken tat ihr die geschwollene Zunge mit dem kleinen Fremdkörper darin weh. Die Entzündung dauerte schon viel zu lange.
Sie lag eine Weile wach und grübelte. Vielleicht hätte sie doch nachgeben sollen? Vielleicht hatte Karim ja recht, und die Schuld lag wirklich bei ihr. Aber er wusste doch genauso gut wie sie, dass sie einander brauchten. Dass sie aufeinander angewiesen waren. Zwei Gestrandete, die sich in ihrer Verzweiflung aneinanderklammerten. Da brauchte sie sich gar nichts vorzumachen.
Was willst du nur mit diesem Karim? , höhnte eine Stimme in ihrem Inneren. Such dir einen anderen, der mit sich im Reinen ist. Nicht so einen unfertigen, kleinen Macho, der alles besser weiß und dir vorschreiben will, was du zu tun und zu lassen hast.
Es ist leider so, dass Mädchen dazu neigen, sich immer wieder ihren Vater als Partner auszuwählen. Die Stimme einer der Psychotanten, bei denen sie sich Hilfe erhofft hatte, hallte in ihr nach wie ein verzerrtes Echo.
Lilly hörte ihr eigenes Lachen.
Glauben Sie wirklich, ich wäre so blöd?
Das Lachen wurde immer lauter.
So blöd, mir so einen zu suchen wie den, der mich malträtiert und schikaniert hat, nur weil ich kein Junge geworden bin?
So ein Quatsch! Was diese Seelenklempner sich alles einfallen lassen. Welche Ähnlichkeit sollte wohl mein Vater mit Karim haben?
Ihr Vater war ein kleiner, weißhaariger Mann, der seinen gewölbten Bauch wie eine Trommel vor sich hertrug. Der Blick aus tief liegenden Augen unter buschigen Brauen sollte der Welt verkünden, dass er der Stärkere war.
Karim war das genaue Gegenteil. Er sah gut aus, war groß und drahtig, kein Ansatz von Fett. Außerdem hatte er dunkles Haar.
Die ketzerische Stimme in ihrem Inneren jedoch wollte nicht schweigen.
Karim tut dir nicht gut. Du solltest weg von hier. Weg von Karim, von diesem ganzen beschissenen Leben. Fang von vorn an, bevor es zu spät ist.
Vielleicht wäre es wirklich besser, sich was Neues zu suchen.
Du
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