Gefaehrliche Versuchung
können. Also, Major, ich nehme an, wir haben Brandy? Sie werden ihn brauchen.«
Harry schloss die Augen und wünschte, er wäre ein Weichling, der einfach in Ohnmacht fiel.
Kate hasste es, sich geschlagen zu geben. Beim Klang des Schlüssels im Schloss wäre sie beinahe wieder umgedreht und zur Tür gerannt. Aber als sie Bea und Bivens in ihrem Zimmer erblickte, wusste sie, dass man sie nicht zurück zu Harry lassen würde.
»Wir sollten die Zeit nutzen, um über den Vers nachzudenken«, schlug Chuffy vor und nahm die Brille ab, um sich über die Stirn zu wischen.
Kate fühlte sich schuldig. »Sie mögen Operationen nicht, Chuff?«
Energisch schüttelte er den Kopf. »Empfindlicher Magen.«
Kate konnte nicht anders: Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange. »Dann sind Sie ein guter Freund.«
In dem Moment hörte sie ein unterdrücktes Aufstöhnen aus Harrys Zimmer. Instinktiv sprang sie auf und stürmte Richtung Tür. Doch Chuffy hielt sie zurück.
»Haben Sie all die Narben gesehen?«, fragte er und schob seine Brille die Nase hoch. »Er hat das schon öfter durchgemacht.«
Abwesend nickte Kate. Es war wieder still. War er ohnmächtig geworden? Oder war er … tot?
Plötzlich gaben ihre Beine unter ihr nach, und sie sackte in den nächsten Polstersessel. Was passierte mit ihr? Sie hatte schon früher Menschen gesehen, die Schmerzen und Qualen erlitten, und sie hatte Menschen auf dem Boden liegen sehen, ihre Gedärme auf der Straße neben ihnen. Ein Aufstöhnen von Harry, und sie hatte weiche Knie und bebte am ganzen Körper. Er würde doch nicht sterben, oder?
Er würde sich nicht einfach aus dem Staub machen, nicht wahr?
Natürlich würde er das. Wenn Harry nicht bei seinen undurchsichtigen Spielchen getötet wurde, dann würde er seine Sachen packen und die Welt bereisen, wie er es angekündigt hatte. Sie konnte sich genauso gut jetzt schon darauf einstellen und sich ins Gedächtnis rufen, was sie mühevoll gelernt hatte: Der einzige Mensch, auf den sie sich wirklich verlassen konnte, war sie selbst. Es spielte keine Rolle, dass sie ihn von Herzen liebte. Es spielte keine Rolle, dass er der beste Mensch der Welt war. Die Zeit würde kommen, da er sie verlassen würde und sie sich allein durchschlagen müsste. Sie konnte sich also genauso gut jetzt schon daran gewöhnen.
Tapfere Worte, die aber weder das Zittern noch den fürchterlichen, versengenden Schmerz in ihrer Brust beendeten, der sie ergriff, wenn sie sich vorstellte, dass Harry ganz allein in dem Zimmer litt, ohne dass sie wenigstens seine Hand halten konnte.
»Katalog«, sagte Bea und setzte sich in den Sessel neben ihr.
Kate blinzelte sie verwirrt an. Nicht jetzt, wollte sie sagen. Lass mich in Ruhe. Sie lauschte noch immer auf Geräusche aus dem Nebenzimmer, wünschte, dass Harry das alles gut überstand und den Schmerz hinter sich ließ. Sie konnte keine Zeit mit irgendetwas anderem verschwenden.
Ungeduldig tätschelte Bea Kates Hand. »Katalog Sonette.«
Katalog Sonette. Was, zum Teufel, meinte sie damit?
»Meinen Sie den Vers?«, fragte Chuffy, der sich schon wieder über die Stirn wischte.
Bea nickte, und Kate keuchte auf. »Hast du den Vers wiedererkannt?«
Die alte Dame schüttelte den Kopf. Kate sah auf und versuchte, die richtigen Worte aus ihrem Gedächtnis zu kramen. Ist die Frucht nicht süß, meine erste Liebe? Nicht alles von mir wird sterben. Es stimmte nicht. Die Wörter standen in der falschen Reihenfolge, oder es fehlte etwas.
»›Mir Armem war mein Büchersaal als Herzogtum genug‹«, sagte Bea seltsam eindringlich.
»Das ist aus Der Sturm «, stellte Chuffy fest.
»Büchersaal«, wiederholte Kate. »Natürlich. Lasst uns gehen. Bivens, falls irgendjemand nach mir fragt, dann sagen Sie, dass wir weg sind.«
»Aber wohin sind wir gegangen?«, fragte Chuffy, während Kate die Tür aufmachte.
»In meine Bibliothek«, erwiderte sie. »Ich habe dort jedes Buch gelagert, das ich in den vergangenen fünf Jahren gelesen habe. Wir werden zuerst einmal dort suchen.«
Chuffy seufzte. »Die Stallungen wären mir lieber.«
Kate schob ihn sanft aus der Tür. »In den Stallungen sind allerdings herzlich wenig Bücher zu finden.«
Obwohl ihr klar war, dass sie eigentlich nach unten gehen sollte, konnte Kate nicht anders, als in die andere Richtung zu laufen. Sie wollte nur schauen, ob sie etwas Neues erfahren konnte. »Ich werde nicht in das Zimmer gehen«, versprach sie Bea. »Ich möchte nur …«
Sie hörte es, ehe sie
Weitere Kostenlose Bücher