Gefangene des Meeres
auseinandersetzen. Wenn er nach achtern zum Pumpenraum gelangen wollte, der den einzigen Zugang zu den Tanks bot, mußte er auch den Laufgang über das hintere Wetterdeck benützen. Abgeschirmt durch das Brückenhaus, würde es achtern nicht so stürmisch zugehen wie auf dem Vorschiff, aber die Wahrscheinlichkeit war groß, daß Wallis sich nasse Füße holen würde, daß sie sogar naß würden, wenn er die ganze Strecke auf den Händen ginge.
Manchmal dachte Larmer, als das Vorschiff wieder aus dem ablaufenden Gischt auftauchte, um Sekunden später in einem neuen Wasserberg zu verschwinden, manchmal verhielt sich die »Gulf Trader«, als lebte sie in dem Wahn, ein Unterseeboot zu sein.
Der erste Torpedo traf ein paar Minuten danach, gerade als das Schiff seinen Bug in einen neuen Wellenberg bohrte. Wäre er eine Sekunde später gekommen, wäre er glatt über das momentan untergetauchte Vorschiff weggegangen, aber so bohrte er sich einen Meter unter der Reling und etwa acht Meter hinter dem Bug in die Bordwand und detonierte. Das Deck wurde aufgerissen, als wäre es von einer Bombe statt von einem Torpedo getroffen worden. Mehrere hundert Tonnen Wasser in Form einer Welle, die in diesem Augenblick über das Vorschiff brach, vergrößerten die Öffnung, schälten die Deckplatten wie Metallfolie zurück und ergossen sich in den vorderen Pumpenraum, die Lagerräume im Bug und in den großen vorderen Schiffsraum. Diesmal hob sich das Vorschiff nicht mehr aus der kochenden See, und die Welle krachte mit voller Wucht gegen das Ruderhaus. Im gleichen Augenblick traf der zweite Torpedo das Heck.
Aus der Sprechanlage zum Maschinenraum drang ein rauhes Geräusch, zusammengesetzt aus Gebrüll, Schreien und ausströmendem Dampf. Larmer unterbrach den Kontakt, weil er wußte, daß er keine Hilfe leisten konnte, und plötzlich war er über seine Müdigkeit froh, die ihn sogar jetzt stumpf und gefühllos bleiben ließ. Das Schiff, vorn und hinten aufgerissen, sackte zusehends ab, hielt sich aber in der Horizontalen. Das Brückendeck unter seinen Füßen war nun beunruhigend stabil, was den Grund hatte, daß die »Gulf Trader« durch die Dünung ging, statt auf ihr zu reiten. Das Wetterdeck war völlig unter Wasser, desgleichen der vordere und der hintere Laufgang, so daß die Navigationsbrücke und das Bootsdeck achtern die Aufbauten zweier verschiedener Schiffe zu sein schienen. Aber Larmer erkannte auch, daß keine unmittelbare Untergangsgefahr bestand; Tanker waren außerordentlich schwimmfähig. Doch die See ging hoch. Die »Gulf Trader« war zum Stillstand gekommen und begann steuerlos zu treiben, wobei sie den auflaufenden Wellen mehr und mehr die Breitseite zukehrte. Das konnte beim Aussetzen der Boote gefährlich werden.
Larmer schnallte sich los, stand auf und ging langsam zum Radioraum, nachdem er den einzigen Befehl gegeben hatte, den er unter diesen Umständen geben konnte. Seine Stimme war langsam und überlegt, aber nicht, wie er sich eingestehen mußte, weil er tapfer und kaltblütig war. Es war einfach so, daß er zu müde war, um zu brüllen und herumzurennen, wie einige der anderen es taten. Er war sogar zu müde, um wirklich Angst zu empfinden.
Einige Zeit später sah er die »Gulf Trader« sinken; das Schiff wollte nicht untergehen und kämpfte um jeden Zoll. Mehrmals war er überzeugt, daß es in der Tiefe verschwunden war, nur um Teile der Aufbauten schäumend aus der hohen Dünung tauchen und wieder darin verschwinden zu sehen. Aber schließlich schien es, als habe auch das Schiff eingesehen, daß es sterben und darum unten bleiben mußte, und so überließ es drei überfüllte Rettungsboote und etwa zwanzig Rettungsflöße dem kalten und stürmischen Ozean.
Von einem der Flöße, das er mit dem Funker teilte, zählte Larmer so gut er konnte die Köpfe der schiffbrüchig in der Dünung Treibenden und kam zu dem Schluß, daß fast alle davongekommen sein mußten. Dann wandte er sich an seinen Schicksalsgenossen auf dem Rettungsfloß und instruierte ihn über die Notwendigkeit, am Leben zu bleiben, bis sie gerettet würden. Um Mitternacht oder später könnten sie damit rechnen, aufgenommen zu werden, sagte er, und es habe keinen Sinn, eine Katastrophe zu überleben, wenn man nicht auch danach am Leben bliebe. Darum müßten sie sich am Leben erhalten, sich geistig wie auch körperlich betätigen, um gegen Bewußtlosigkeit und Unterkühlung zu kämpfen. Sie müßten ihre Arme und Beine bewegen, einander
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