Geh@ckt: Wie Angriffe aus dem Netz uns alle bedrohen. Ein Agent berichtet (German Edition)
Lebensmittelversorgung ist erheblich eingeschränkt, da weder Logistik noch Kassensysteme ordnungsgemäß ablaufen können. Bankautomaten sind außer Betrieb. Da wir nicht an Dunkelheit gewöhnt sind, häufen sich Unfälle auf den Straßen. Krankenhäusern fehlt spätestens nach achtundvierzig Stunden jeglicher Strom, sie sind von Beginn an überlastet und können einzig Basisdienste leisten. Apotheken und Arztpraxen bleiben geschlossen, ebenso Dialysezentren. Das Bankenwesen kommt zum Erliegen, überhaupt versagt unser Finanzwesen.» [2]
Wir waren geplättet. Denn sosehr Grundheim abermals versuchte, uns zu versichern, dass diese Szenarien eher unwahrscheinlich seien, so sehr hatte er es geschafft, uns völlig zu überfahren. Er war zwar Experte in seinem Fach, aber definitiv kein talentierter Motivationstrainer.
«Ich muss gerade an meinen Großvater denken», sagte Marion Braun mit gedämpfter Stimme. Die brünette Mittvierzigerin war Personalchefin eines großen Automobilzulieferers. «Das Pflegeheim, in dem er liegt, ist sicher nicht notstromversorgt, und mein Großvater wird laufend beatmet. Daran hatte ich noch nie gedacht.» Betroffen sah sie zu Grundheim hinüber.
Der nickte. «Das ergeht den meisten so», sagte er. «Leider. Elektrizität ist die Achillesferse unserer modernen Gesellschaft, deshalb sind Netzstabilität und -sicherheit die großen Herausforderungen der Zukunft. Im Moment wird Strom überwiegend von den Versorgern und den großen Kraftwerken produziert. Das ist relativ einfach steuerbar. Aber die Entwicklung geht zu den erneuerbaren Energien wie Wind und Solar. Beide garantieren keine gleichmäßigen Stromlieferungen. Mal gibt es viel Sonne, mal wenig. Mit dem Wind verhält es sich genauso. Aber selbst bei viel Wind und Sonne kann überflüssiger Strom derzeit so gut wie nicht gespeichert werden. Es existieren zwar Pumpspeicherwerke, Kondensatoren, Spulen und Akkus, aber die sind nicht für eine langfristige Speicherung geeignet, sondern liefern eher kurzfristigen ‹Überbrückungsstrom›.
Außerdem wächst die Zahl der kleinen Erzeuger, die an das Netz angeschlossen werden. All das muss koordiniert werden und funktioniert nicht mehr ohne Computer. Was man künftig für ein stabiles Netz benötigt, sind computergestützte intelligente Energiemanagementsysteme – ein Smart Grid.»
Die Personalchefin sah etwas skeptisch in die Runde.
«Ein Smart Grid?», wiederholte sie.
«Genau», antwortete Grundheim, «ein intelligentes Netz. Die künftige Komplexität des Stromnetzes wird sich nur über intelligente Computersteuerungen regeln lassen. Dazu erhält jeder Haushalt einen neuen Stromzähler, ein sogenanntes Smart Metering System. Die intelligenten Stromzähler sind in der Lage, aktuelle Verbrauchswerte zu erfassen und an den Versorger zu übertragen. Der Versorger kann wiederum über einen direkten Abrechnungsmodus minutengenau den Strompreis an die verfügbare Menge anpassen und damit ein bestimmtes Nachfrageverhalten erzeugen. Herrscht zum Beispiel ein Überangebot an Strom bei viel Wind im Norden der Republik, signalisiert der Energieversorger dem Kunden über ein grünes Licht, dass Strom derzeit besonders günstig ist, und schafft damit einen Nachfrageimpuls, der wiederum zur Netzstabilität beiträgt. Oder umgekehrt. Bei zu wenig Strom im Netz leuchtet ein rotes Licht – und Strom ist in dem Moment teuer. Vielleicht kann man sich irgendwann auch den Umweg über ein solches Ampelsystem sparen und spricht die Haushaltsgeräte direkt über eine Internetschnittstelle an.»
Grundheim war ein Phänomen. Je mehr er den Versuch unternahm, uns zu beschwichtigen, desto schlimmer wurde es.
«Waschmaschinen, Trockner und Kühlschränke mit Netzwerkverbindung? Das wäre dann ja wirklich das Internet der Dinge!», bemerkte der Ingenieur.
«Wobei wir beim eigentlichen Problem wären», fügte ich hinzu und sah zu Grundheim hinüber, der einem fast schon leidtun konnte.
«Noch ein Problem?», fragte Marion Braun lakonisch in meine Richtung, als ob für heute nicht schon genügend Schwierigkeiten zur Sprache gekommen waren.
«Leider ja», ergänzte ich. «Viele Menschen denken, dass mit den erneuerbaren Energien die Sicherheit der Stromversorgung sinkt, was nicht der Fall ist. Nur die Steuerung des Netzes wird komplexer. Eine höhere Komplexität des Netzes führt aber nicht zu weniger Versorgungssicherheit. Vielleicht sogar im Gegenteil. Mehrere kleine Betreiber und mehr dezentrale
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