Geh@ckt: Wie Angriffe aus dem Netz uns alle bedrohen. Ein Agent berichtet (German Edition)
er, was geschehen würde, wenn der Strom bei uns längere Zeit ausfiele. Ich fragte ihn direkt.
«Wahrscheinlich herrscht dann ein Ausnahmezustand», meinte Grundheim ganz unverblümt und blickte dabei so belanglos in die Runde, als hätte er erwähnt, dass das Wetter am nächsten Tag schlechter werden würde.
Wie bitte?, dachte ich. Wir steuern gerade aufgrund eines Stromausfalls auf die größte atomare Katastrophe der Geschichte zu, und der Herr Spezialist spricht von Ausnahmezustand in Deutschland, als wenn es um die Bestellung einer Weißweinschorle geht?
Als er dann doch merkte, was er da gerade gesagt hatte, beeilte er sich, seine Aussage abzuschwächen: «Aber die Stromnetze hierzulande sind sicher. Da müssen wir uns keine Sorgen machen.» Grundheim spürte, dass das Gesagte seine Wirkung verfehlte und nach Norbert Blüm und dessen Versprechen zu sicheren Renten auf dem Bonner Marktplatz klang. Aber er gab sein Bemühen, uns zu beruhigen, nicht auf.
«Im Innersten eines Kernkraftwerks», fuhr er fort, «wird im Verhältnis noch immer sehr viel mit großen Hebeln geregelt, mehr als mit kleinen Computern. Da gibt es noch viel Mechanik und wenig Elektronik. Wir fürchten eigentlich nicht so sehr einen Angriff oder einen Ausfall eines großen Kraftwerks.»
«Was dann?», wollte ein Maschinenbauingenieur wissen, der ebenfalls mit am Tisch saß.
«Was uns derzeit sehr beschäftigt, ist die Zukunft der Stromnetze.»
«Die Zukunft?» Der Ingenieur war hartnäckig. «Und hatten Sie eben nicht gesagt, dass die Stromnetze bei uns sicher sind?»
«Ja, das stimmt schon …» Grundheim zögerte, schien sich nicht wirklich festlegen zu wollen. «Das Wichtigste am Stromnetz ist, dass die Menge an Strom, die in das Netz eingespeist wird, in etwa der Menge entspricht, die nachgefragt wird. Nur durch kontinuierliche Einspeisung beziehungsweise Entnahme von Strom kann die notwendige Frequenz von 50 Hertz gehalten werden. Wird zu wenig Strom erzeugt oder zu viel nachgefragt, und die Frequenz sinkt unter 47 , 5 Hertz, werden die Kraftwerke automatisch abgeschaltet. Ein Blackout wäre die Folge. Haben Sie sich schon einmal gefragt, was geschehen würde, wenn der Strom für längere Zeit ausfiele?»
Noch niemand am Tisch hatte sich mit dieser Frage bisher wirklich auseinandergesetzt.
«Zugegebenermaßen ist die Wahrscheinlichkeit eines großflächigen und langandauernden Stromausfalls derzeit recht gering», erklärte Grundheim weiter. «Aber nicht undenkbar. Die Folgen wären dramatisch.»
«Also doch», konstatierte der Ingenieur, ein Mann von Anfang fünfzig, mit scharfgeschnittenen Gesichtszügen und lebendigen Augen.
Grundheim ließ sich nicht beirren, sondern setzte seine Ausführungen fort: «Untersuchungen haben ergeben, dass wir uns nach etwa achtundvierzig Stunden am Rande des Chaos befänden, zu stark ist mittlerweile die Abhängigkeit von Elektrizität. Zuerst steigt die Belastung der Mobilfunknetze. Die Menschen wollen wissen, was los ist, jedoch ohne Erfolg. Nach circa zwei Stunden brechen die ersten Mobilfunkstationen unter der Last und der mangelnden Notstromversorgung zusammen, nach etwa sechs Stunden das komplette Netz. Zwar funktionieren die Leitstellen von Polizei, Feuerwehr und THW , dem Technischen Hilfswerk, allerdings sind sie nicht mehr erreichbar. Das Rettungswesen ist deshalb stark eingeschränkt. UMTS -gestütztes Internet fällt nach rund sechs Stunden komplett aus. Haushalte können Kommunikationswege wie Handy, E-Mail und Internet nicht mehr nutzen. Endgeräte wie Router, DSL -Modems oder ISDN -Anlagen funktionieren ohnehin seit Beginn des Stromausfalls nicht mehr. Der Verkehr bricht zusammen. Züge, U- und S-Bahnen sowie Straßenbahnen bleiben stehen. Die Menschen darin und ebenso in Aufzügen werden evakuiert. Die Wasserversorgung sowie Abwasserentsorgung können aufgrund der notstrombedingten geringeren Leistung der Wasserwerke allein bis in den dritten Stock der Gebäude gewährleistet werden. Allerdings auch nur für zwölf Stunden. Danach ist Schluss. Die Kraftstoffreserven der Wasserwerke sind dann erschöpft, und die Wasserversorgung ist nicht mehr gewährleistet. Ebenso die Abwasserentsorgung.»
Grundheim holte kurz Luft, bevor er mit seiner Darstellung des möglichen Unmöglichen fortfuhr: «Bereits nach achtundvierzig Stunden entsteht Seuchengefahr. Die Zapfsäulen der Tankstellen bleiben ohne Funktion, da die Pumpen zum Befördern des Kraftstoffs keinen Strom haben. Die
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