Geheime Versuchung
Raphael. Einige würden vielleicht in ein ganz normales Leben abtauchen, aber andere würden meucheln und morden, weil sie im Herzen Raubtiere waren. Und wenn er es sich recht überlegte, waren Engel im Grunde auch nicht viel besser.
»Sara ist mehr als fähig«, sagte Simon. »Die Jäger stehen vollkommen hinter ihr. Etliche sind im letzten Jahr an mich herangetreten und haben sie als Nachfolgerin vorgeschlagen.«
»Ist Sara eure beste Jägerin?«, fragte Astaad.
Simon schüttelte den Kopf. »Aber die besten Jäger sind selten die besten Vorgesetzten. Sara ist Jägerin von Geburt.«
Raphael nahm sich vor, mehr über die neue Direktorin in Erfahrung zu bringen. Im Gegensatz zu anderen Mitgliedern der Gilde kamen die geborenen Jäger bereits mit der Fähigkeit, Vampire zu wittern, auf die Welt. Bei der Jagd waren sie die Besten und verfolgten eine Fährte unbarmherzig wie ein Bluthund.
»Und wird Sara annehmen?«, fragte er.
Simon überlegte einen Moment, bevor er antwortete. »Ich bin mir sicher, dass Sara die richtige Entscheidung treffen wird.«
1
Für gewöhnlich hatte Sara kein Mitleid mit Vampiren. Schließlich war es ihr Job, sie einzufangen und hübsch verpackt bei ihren Meistern, den Engeln, abzuliefern. Für Leibeigenschaft hatte sie eigentlich nicht viel übrig, aber die Engel machten ja keinen Hehl aus ihrem Preis für die Unsterblichkeit. Wer ein Vampir werden wollte, musste den Engeln hundert Jahre lang dienen. Ohne Ausnahme.
Wer nicht bereit war, ein Jahrhundert lang Sklavendienste zu leisten, sollte einen solchen Vertrag eben nicht unterschreiben. So sah Sara das jedenfalls. Sich hingegen aus dem Vertrag zu winden, nachdem die Engel ihren Teil der Vereinbarung bereits erfüllt hatten, war Betrug. Und für Betrüger hatte Sara nichts übrig.
Doch das Exemplar, mit dem sie sich gerade herumschlug, hatte weitaus gravierendere Probleme, als zu einem stocksauren Meister zurückgebracht zu werden. »Können Sie sprechen?«
Der Vampir hielt sich mit der Hand den fast komplett durchtrennten Hals und sah sie an, als hätte sie den Verstand verloren.
»Ja, tut mir leid.« Sie wunderte sich, dass er überhaupt noch am Leben war. Vampire waren nämlich nicht wirklich unsterblich, man konnte sie durchaus töten. Köpfen war eine idiotensichere Methode, aber fast keiner wagte es – was nicht weiter verwunderlich war, schließlich hielten Vampire dafür nicht still. Aufs Herz zu schießen funktionierte auch, sofern man anschließend schnell den Kopf vom Rumpf trennte. Oder verbrennen. Damit war man auf der sicheren Seite.
Aber Saras Aufgabe war es nicht, Vampire umzubringen. Sie spürte sie auf und brachte sie zurück. »Brauchen Sie Blut?«
Der Vampir sah sie hoffnungsvoll an.
»Müssen Sie sich verbeißen«, sagte sie. »Da Sie immer noch am Leben sind, scheinen Sie einer von der harten Sorte zu sein. Sie halten sicher bis nach Hause durch.«
»Nnnnn.«
Ohne weiter auf sein gegurgeltes Unmutsbekenntnis einzugehen, hockte sich Sara neben ihn und schob ihren Arm unter seinen Rücken, um ihm aufzuhelfen. Zwar war der Vampir wesentlich größer als sie, dafür blutete sie aber nicht aus dem Hals und trieb obendrein sieben Tage die Woche Sport. Stöhnend hievte sie ihn hoch und begann den sich sträubenden Vampir zum Auto zu bugsieren.
»Brauchen Sie Hilfe?« Eine tiefe, ruhige Stimme wie alter Whiskey und glühende Kohlen.
Sara kannte weder die Stimme noch die Gestalt, die sich jetzt aus dem Schatten löste. Der Mann war groß und muskulös, hatte breite Schultern und kräftige Oberschenkel, dennoch bewegte er sich mit der Geschmeidigkeit eines geschulten Kämpfers. Und obgleich Sara es mit Vampiren aufnahm, die doppelt so groß wie sie selbst waren, würde sie sich mit diesem Fremden nicht gerne anlegen.
»Ja«, sagte sie. »Wenn Sie mir vielleicht einfach helfen könnten, ihn zum Auto zu schaffen. Es ist dort drüben am Bordstein geparkt.«
Der Fremde schnappte sich den Vampir, der allmählich verständlichere Laute von sich gab, und verfrachtete ihn auf den Rücksitz. »Kontrollchip?«
Sara nahm ihre Armbrust vom Rücken und zielte auf den Vampir. Der Ärmste verkroch sich noch tiefer in den Wagen. Augenrollend ließ Sara die Armbrust sinken und zog eine Halskette hervor, die am Hosenbund ihrer schwarzen Jeans baumelte. »Keine Tricks, sonst schieße ich das nächste Mal wirklich.«
Wie ein Häufchen Elend sackte der Vampir in sich zusammen und ließ sich die Kette mit dem Kontrollchip um den
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