Geheime Versuchung
uns hassen.«
»Das tun wir auch nicht«, sagte Sara und hätte ihm am liebsten über den Kopf gestreichelt. »Er hat es einfach aus Gemeinheit gesagt.«
»Meinen Sie?«
»Das weiß ich sogar. Was hat er noch gesagt?«
»Dass die Vampire der Abschaum der Erde sind und dass unsere Gegenwart die Engel beschmutzen würde.« Er verzog das Gesicht. »Aber das kann doch gar nicht sein, sonst würden uns die Engel doch nicht erschaffen.«
Sara stutzte, diese Schlussfolgerung hätte sie Rodney gar nicht zugetraut. »Ja, da haben Sie recht. Also hat er gelogen. Hat er sonst noch etwas gesagt?«
»Nein, er hat bloß sein Schwert gezogen …«
Schwert?
»… und versucht, mir den Kopf abzuschlagen.« Er lehnte sich zurück, Rede beendet.
»Wie sah er aus?«, fragte Deacon.
Rodney fuhr zusammen. Offenbar hatte er die Gefahr in seinem Nacken vergessen. »Das konnte ich nicht sehen. Er trug eine schwarze Maske vor dem Gesicht, und auch sonst war alles schwarz an ihm. Aber er war groß und stark.«
Diese Beschreibung passte auf die Hälfte der Gildenjäger. Als Sara merkte, dass sie nichts mehr aus Rodney herausbekommen würden, legte sie ihm wieder die Kette um und fuhr ihn zu Lacarre. Dabei war ihr nur allzu bewusst, dass Deacon ihr auf einem monstermäßigen Motorrad folgte. Aber er kam nicht mit hinein, als Sara den Vampir ins Haus führte.
Lacarre wartete schon in der Vorhalle des palastartigen Anwesens. »Geh«, befahl er dem Vampir.
Sara nahm ihm die Halskette ab und legte sie Lacarre hin, damit er sie der Gilde zurückgeben konnte. Zerknirscht wie ein Schuljunge schlurfte Rodney davon. Verärgert klappte der Engel seine cremefarbenen Flügel zusammen und nahm einen Umschlag vom Tisch. »Ihr Einzahlungsbeleg. Ich habe das Geld gleich nach Ihrem Anruf, dass Sie Rodney haben, überwiesen.«
Rasch überflog sie den Beleg und steckte ihn ein. »Vielen Dank.«
»Ms Haziz«, sagte er finster. »Ich will ganz offen zu Ihnen sein. Ich hätte nie damit gerechnet, dass Rodney einen Fluchtversuch unternimmt. Ich weiß nicht, wie ich ihn bestrafen soll.«
Sara war es nicht gewöhnt, sich mit einem Engel zu unterhalten. In der Regel nahm sie nur den Auftrag entgegen. Meist bekam sie sie nicht einmal dann zu Gesicht. Engel waren viel zu wichtig, um sich mit gewöhnlichen Sterblichen abzugeben, dazu hatten sie ja ihre Vampire. »Kennen Sie eine Mindy?«
Lacarre erstarrte. »Ja. Sie ist einer meiner ältesten Vampire.«
»Ist sie eifersüchtig?«
»Ach so, ich verstehe.« Er nickte. »Ich habe viel Zeit mit Rodney verbracht. Er ist noch so kindlich, und wenn ich ihm nicht etwas auf die Sprünge helfe, schafft er es nicht.«
Sara fragte lieber nicht, wie es Rodney überhaupt durchs Auswahlverfahren geschafft hatte. So viele Menschen wollten Vampire werden, dass es eigentlich alles andere als ein Zuckerschlecken war. »Er ist nicht gerade ein Genie«, sagte sie stattdessen. »Wenn Sie ihn zu hart bestrafen, wird er es vielleicht nicht überleben.«
Lacarre nickte. »Also gut, Gildenjägerin. Ich danke Ihnen.« Damit war sie entlassen.
Wohl fühlte sich Sara bei dem Gedanken nicht, Rodney bei einem Meister zurückzulassen, der zwar nicht mehr stocksauer, aber immer noch verärgert war. Doch schließlich hatte sich Rodney ja aus freien Stücken entschieden, Vampir zu werden. Nun musste er die nächsten siebenundneunzig Jahre Sklavendasein ertragen. Beim Rausgehen lief ihr eine schlanke Rothaarige über den Weg. Die Frau trug einen gewagten scharlachroten Anzug, der so eng saß, dass er genauso gut aufgemalt hätte sein können.
Sara wäre einfach weitergelaufen, doch die Rothaarige hielt sie auf. »Sie haben Rodney zurückgebracht?«
Mindy
. »Das ist mein Job.«
Die Vampirin biss die Zähne fest aufeinander. So gut, wie sie menschliches Verhalten imitierte, musste sie schon sehr alt sein. »Ich bin überrascht, dass er so lange überlebt hat. Sonst kann er sich kaum die Schnürsenkel zubinden.«
»Wie ist er überhaupt durchs Auswahlverfahren gekommen?«
Mindy wedelte mit einer Hand. »Mit ihm war alles in Ordnung, bis …« Erst im Nachhinein wurde ihr klar, mit wem sie da eigentlich sprach. »Auf Wiedersehen, Gildenjägerin.«
»Wiedersehen.«
Wie interessant,
dachte Sara bei sich. Auch wenn es nie offiziell bestätigt wurde, wusste jeder, dass ein winziger Prozentsatz der Kandidaten nach der Verwandlung geistesgestört war. Zum ersten Mal aber war Sara jetzt ein Vampir untergekommen, der einen Teil seiner
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