Gentec X 03 - Fluchtpunkt Amazonas
viel zu viel aus der Hand.«
Dem stimmte ich mittlerweile zu. Die einfache Frau – ihr Mann hatte bei der Stadt gearbeitet – schilderte weiter, dass nicht alle Menschen auf den hypnotischen Ton ansprachen. Etliche waren von den Gencoys und ihren Monstern abgeholt worden.
»Zuerst dachte ich, dass diese Dinger Menschen sind«, sagte Mrs. Stone. »Die hellblau oder grau Uniformierten. Doch dann merkte ich, dass dem nicht so ist. Einige Menschen versuchten, die Stadt zu verlassen, was ihnen aber nicht gelang. Bei der Tankstelle an der Straße zum Highway wurde geschossen. – Was ist bei der Oldwater-Villa passiert, die das Militär abriegelte? Dort ist gekämpft worden. Seit einer Weile gibt es keine Nachrichten mehr. Die Sender schweigen, sowohl Fernsehen als auch Rundfunk. Davor hat es wahnwitzige Meldungen über Unruhen auf der ganzen Welt gegeben. Ich begreife das nicht, warum haben die Politiker denn nicht rechtzeitig etwas gegen den Gentec-Konzern unternommen? Das ist doch der blanke Horror, wie in einem von diesen Zombie-Filmen, wenn die ganze Welt von den Untoten heimgesucht wird. Nur hier ist es schlimmer … Wird die Welt untergehen?«
Mrs. Stone zitterte, auch an ihr ging der Schreck nicht spurlos vorüber. Ihr Mann legte den Arm um sie. Er sprach kaum etwas, seine Frau um so mehr. Das war bei dem Ehepaar die Rollenverteilung.
Ich beantwortete Mrs. Stones Fragen so schonend wie möglich. Allerdings konnte ich ihr nicht viel Hoffnung machen.
»Sie sind also Sniper«, sagte Mrs. Stone. Die füllige Frau umklammerte meine Hand. »In einer der letzten Meldungen wurden Sie erwähnt. Sie haben eine Durchsage gemacht. Sie wollen die Welt retten.«
»Ich habe zum Kampf aufgerufen, Mrs. Stone.«
»Meinen Sie denn, dass es noch einen Zweck hat?«
Die Frage war hammerhart – banal und auch treffend. Mir blieb fast die Luft weg, sie leidenschaftslos gestellt zu hören. Mabel Stone ergriff die Hand ihres Mannes.
»Wir haben unser Leben so ziemlich gelebt, Herbert und ich«, sagte sie. »Wenn wir abtreten müssen, ist es das dann gewesen. Doch um all die Menschen, die Kinder, die ihr Leben noch vor sich haben, tut es mir schrecklich Leid. Diese Monstren wollen die Menschheit ausrotten?«
»Ja, Mrs. Stone.«
Es hätte keinen Zweck gehabt, um die Sache herum zu reden. Mrs. Stone war eine Frau, die die Wahrheit vertrug und auch hören wollte.
»Was haben Sie vor, Nita?«, fragte die stämmige 67-Jährige Frau. »Darf ich Sie so vertraulich ansprechen? Dem Alter nach könnten Sie meine Enkelin sein. – Der junge Mann da, ist er Ihr Freund?«
»Ja, Mrs. Stone.« Ich beantwortete die letzte Frage zuerst. »Das ist Nick, den ich liebe.« Es stimmte wieder zwischen uns. Sein Seitensprung war vergeben. »Wir wollen uns nach Chicago durchschlagen. – Oder hast du eine andere Idee, Nick? In Chicago hat es für mich begonnen, dort stieß ich in den Hype vor. Dort soll es auch enden.«
Nick bejahte meinen Vorschlag.
»Ich weiß nicht, ob wir den Kampf noch gewinnen können, Mrs. Stone«, erklärte ich. »Aber wir müssen kämpfen. Mit allen Mitteln müssen wir Widerstand leisten. Es muss einen Ausweg und eine Rettung geben. Wenn nicht, werden wir kämpfend untergehen. Doch ich ergebe mich nicht.«
»Das ist der richtige Geist«, sagte Mabel Stone. »Herbert und ich wünschen euch beiden alles Gute. Wir werden unser Haus nicht verlassen. Wenn diese Mordmaschinen kommen, um uns zu holen, werden wir uns verteidigen, so gut wir es können, und wenn es keine Hoffnung mehr gibt, nehmen wir Gift. Uns werden sie nicht bekommen. Hier haben wir gelebt, hier gedenken wir auch zu sterben: in unserem Haus.«
Ich war gerührt. Nick schluckte. Wir blieben bis zum Abend bei den Stones. Als wir ihr Haus dann in der Dunkelheit verließen, war der Abschied herzlich. Wir würden diese beiden lieben alten Menschen nicht wieder sehen, die manches verkörperten an Tradition und an Werten, die Amerika groß gemacht hatten.
Einfache Leute, die den Platz ausfüllten, an dem sie standen, die Kinder großzogen und ihren Job machten. Mabel Stone hatte unsere Rucksäcke voll mit Essen gepackt, wie früher meine Tante Eliza, wenn ich ins Pfadfinderlager fuhr.
Wir verließen De Kalb. Die guten Wünsche der Stones begleiteten uns, doch sie allein würden nichts nützen. Von meiner Familie hatte ich nichts mehr gehört, seit die Revolte der Gencoys losbrach – die Weltrevolution, von der die Kommunisten früher gesprochen hatten, anders, als
Weitere Kostenlose Bücher