Gesammelte Werke 1
letzte Ufer nach dem gleichnamigen Roman von Nevil Shute, der von den Folgen eines Atomkriegs erzählt. In einem Interview hat Boris Strugatzki bekannt, dass der Film seinen Bruder und ihn damals tief beeindruckt hatte; ihr erster impulsiver Wunsch sei es gewesen, den Militärs, die das Land und die Welt in einen Rüstungswettlauf trieben, so richtig »die Fresse zu polieren«. Sie wollten einen eigenen postapokalyptischen Roman schreiben, doch für solche Literatur war in der UdSSR kein Platz. Ihre Idee konnten sie - sehr weit vom ursprünglichen Vorhaben entfernt - nur in »Der ferne Regenbogen« verwirklichen: Auf einem abgelegenen Planeten führen wissenschaftliche Experimente zu einer globalen Katastrophe; alle Erdenmenschen, die sich auf dem Planeten befinden, sind zum Untergang verurteilt.
Das kommunistische »Missionieren« der UdSSR in Ländern der Dritten Welt, in Afrika und Asien, während der 1960er Jahre fand seinen Widerhall in dem Roman »Es ist schwer, ein Gott zu sein«: Der Held versucht, einem Planeten, dessen Bewohner sich in einem finsteren Mittelalter befinden, die Zivilisation zu bringen - und nimmt selbst die örtlichen Sitten an. Die Strugatzkis fragen sowohl sich selbst als auch die Leser, ob man Zivilisationsprozesse wirklich beschleunigen kann. Soll man sich überhaupt in die Gesellschaftsordnung, in die Kultur und die Geschichte anderer Völker einmischen? Das war eine der ersten Gelegenheiten, bei der diese Frage »denen da oben« gestellt wurde.
1965 folgte ein scheinbar völlig unschuldiger Roman: »Der Montag fängt am Samstag an«. Ein Zaubermärchen über die Romantik der sowjetischen Wissenschaft, ein liebenswertes Buch, ohne jede Düsternis, geradezu utopisch. Ich habe es als Kind mit großem Vergnügen immer wieder gelesen, eben als Märchen. Erst viel später habe ich verstanden, dass die Strugatzkis, die eine immer engagiertere, immer politischere Position einnahmen, darin in Wahrheit von der Konfrontation der seriösen sowjetischen Wissenschaftler mit den wissenschaftlichen Scharlatanen erzählten - ein Reflex auf den bizarren »Krieg«, den Trofim Lyssenko, ein Günstling Stalins, gegen die Erkenntnisse der Genetik führte.
Mit jedem neuen Werk der Strugatzkis wird in dieser Zeit sichtbar, wie die Autoren immer weniger an die von ihnen und anderen erfundene »lichte Zukunft« glauben; wie ihnen klar wird, dass die Fehler im System niemals eine Verwirklichung der idealistischen Szenarien erlauben werden. Und so entwerfen sie 1965 zum ersten Mal ein beinahe antiutopisches Sujet - der Roman »Die gierigen Dinge des Jahrhunderts«. In diesem Zukunftsmodell gibt es keinen allgemeinen Wohlstand, nichts von der lichten, freien und gerechten idealkommunistischen Gesellschaft. Stattdessen: eine Konsumgesellschaft,
leicht zugängliche Drogen, blindwütige Massenekstasen, eine Ideologie der Zerstreuung anstelle von Ideen und Geist. Scheinbar entlarven die Strugatzkis hier den Westen, und der Roman wird veröffentlicht - doch tatsächlich schildern sie, durchaus prophetisch, die Zukunft Russlands.
Schritt für Schritt wird die Prosa der Brüder Strugatzki erwachsener, härter. Die theoretischen moralischen Dilemmata, mit denen sich der glückliche Mensch der Zukunft konfrontiert sehen könnte, weichen den verkappten, aber klar erkennbaren Realien des sowjetischen Lebens. Die Themen der neuen Bücher sind die Geheimpolizei, die totale Bürokratie, die persönliche Freiheit.
»In Russland ist ein Dichter mehr als Dichter.« Dieser Vers Jewgeni Jewtuschenkos, der von der Mission und der Rolle des literarischen Talents in unserem über Jahrhunderte unfreien Land sprach, vom Recht und der Pflicht der schöpferischen Persönlichkeit, gegen die Verknöcherung des Systems, gegen Totalitarismus und Ungerechtigkeit zu kämpfen, dieser Vers kann in Bezug auf Arkadi und Boris Strugatzki umgeformt werden: »In der UdSSR ist ein Science-Fiction-Autor mehr als ein Science-Fiction-Autor.«
In einem Land, in dem jede Kritik an den Machthabern und den bestehenden politischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Zuständen verboten ist, in dem jede »ernste« Literatur dazu verurteilt ist, das System zu verherrlichen, sind winzige Enthüllungen und Nadelstiche nur in der Phantastik möglich. Eben weil es dabei vorgeblich nicht um uns geht, nicht uns angeht. Eben weil es ein vermeintlich unernstes Genre ist.
Hat jemand, von dem Prophezeiungen über die Zukunft erwartet werden, das Recht, sich
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