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Geständnisse eines graumelierten Herren

Geständnisse eines graumelierten Herren

Titel: Geständnisse eines graumelierten Herren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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einen langen Abend vor der Abreise. Er hatte sie auch nicht gefragt. Zu viel war neu, zu heiter das Wiedersehn, zu stark die Gegenwart.
    „So was!“ sagte er ersatzweise.
    „Ja was glauben Sie, was der mal für eine Pension kriegt! Und daneben Indien! Nie mehr was hörenlassen! Das verwindet eine Mutter nicht. War überhaupt eine schwere Zeit. Kurz darauf starb Frau Renates Mutter, und der Vater war seit einem Schlaganfall pflegebedürftig. Da hat sie ihn, auf eigenen Wunsch, zu seinem Kriegskameraden ins Altenheim gesteckt, die Firma verkauft und den Hof hier ausgebaut.“ Merkwürdig, wie Schicksalsberichte von der Person abhängen. Bei Renate hätte das lapidarer geklungen.
    Die Witwe war mit dem Aus weichleid aber noch nicht am Ende. „Und Frau Daniela hat’s ja auch nicht leicht g’habt! Eine Politikerin von ihrem Format, wird von der eigenen Partei falleng’lassen. Wegen einer einzigen Bemerkung im Fernsehen! Ich hab’s selber gesehen. Nur weil sie irgend etwas wegen Arbeitszeitverkürzung gesagt hat. Ich weiß nicht mehr was, ob dafür oder dagegen. Jedenfalls hat sie mir aus dem Herzen gesprochen. Und dann fallen ihr alle in den Rücken, diese Saubärn! Da sieht man wieder, was der Mensch heut gilt, der sich noch traut, eine Meinung zu haben!“
    Pathetisch blies sie Rauch und Zorn durch Mund und Nase ab und drückte die Zigarette aus. Die dritte.
    Eine Abwandlung des Begriffs Landpomeranze fiel ihm ein, als die fesche Witwe geschmückt und aufgestelzt mit ihm abrechnete: Landemanze. Denn auch die lehrreiche Therapiestunde hatte ihren Preis. Benzin ging extra.
    „Vergelt’s Gott. Dann bis nächste Woch’.“ Am Wagen drehte sie sich um und stellte bei durchgedrücktem Knie das Spielbein kokett auf den Absatz. „Sie sind genau, wie Frau Renate Sie mir geschildert hat. Die muß Sie sehr gut kennen!“
    „Sie entsprechen auch genau ihrer Schilderung.“
    „Ich? Was hat sie denn über mich gesagt?“
    „Genau das, was ich auch finde.“ Er grinste.
    „Sie...“ Das Wort blieb aus. Aber sie winkte bei der Abfahrt.
    Lukas machte sich an die Arbeit. Und da ihn Frau Schmidhuber offenbar angeregt hatte, gesellten sich zu den Männchen, die anderntags nach England fliegen mußten, weitere, von denen er nicht wußte, wohin er sie schicken sollte. Vielleicht an eine Zeitung im Lande.

    Die Rückfahrt vom Flugplatz hatte ihm noch zu schaffen gemacht. Jetzt kam Lukas mit Renates Wagen gut zurecht. Auch mit dem für ihn ungewohnten Rechtsverkehr. Lediglich beim Schalten mußte er sich anfangs konzentrieren, bis das Unterbewußtsein die Regie übernahm. Ansonsten hatte er Regie geführt, den Tag in der Stadt genau eingeteilt, nichts dem Zufall überlassen, nicht ahnend, daß der Zufall in den Jahren seiner Abwesenheit zu einer festen Größe im Alltagsbetrieb aufgestiegen war.
    Der Malermeister, mit dem er sich in seiner Wohnung verabredet hatte, ließ ihn eine Stunde warten und meinte, darauf aufmerksam gemacht, statt einer Entschuldigung, genau das, was Lukas nicht wußte: „Sie wissen ja, wie’s ist.“
    Das verschob den weiteren Ablauf.
    Nach mehreren Umkreisungen eines Stadtgebiets, infolge neuer Einbahnstraßen, gelangte er in der vertrauten, fremden Stadt zur nächsten Adresse seines Programms und nicht, wie er befürchtet hatte, viel zu spät. Der Spediteur, der ihm mit dem Lastwagen und einem Helfer zum Abholen der Kisten folgen sollte, verschanzte sich hinter einer defekten Vorderachse, sowie einem erkrankten Mitarbeiter. Übermorgen stehe er gern zur Verfügung, hundertprozentig.
    Erfreulich unproblematisch gestaltete sich dagegen das Einführen der Kisten aus dem Ausland. Den Grund konnte er sehen. Es war fünf Minuten vor Mittag. Kollegen des Abfertigers kauten bereits. Dann stand er da, unwillkürlich mit einem Satz seiner Mutter aus dem zweiten Weltkrieg im Kopf: „Was man nicht selber tragen kann, muß man zurücklassen.“
    Lukas ließ die Kisten stehen und begab sich in die Telefonzelle auf der anderen Straßenseite.
    Das Taxi kam sofort. Dummerweise hatte der Fahrer ein Hüftleiden. Er durfte keinesfalls schwer tragen, war auch in seinem Beruf nicht dazu verpflichtet. Ein Trinkgeld für die erfolglose Anfahrt löste das Geschäft, nicht aber den Fall. Was jetzt?
    Lukas entdeckte einen Briefkasten. Er hatte sich entschlossen, die zusätzlichen Männchen an eine Zeitung zu schicken und warf den Brief ein. Vielleicht kannte man ihn dort. Schüler kamen daher. Im rechten Augenblick, dachte

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