Geständnisse eines graumelierten Herren
Städter auf Asphalt Landleben demonstrieren. Es soll nach Rittergut aussehen, wo nur ein Appartement vorhanden ist. Dahinter wurde Renates Wagen gerade vom Haken genommen.
Nicht immer habe man so viel Glück, daß die Abschlepper schon da seien, meinte der Etagen-Gutsbesitzer. Der Ärger häufe sich zur Zeit , im Haus sei schon ein paarmal eingebrochen worden, und es würden zum Teil schreckliche Neureiche da wohnen, schloß er in Selbstaufwertung.
Die Gegend war schon vor zwanzig Jahren gefährdet gewesen. Ein paar Quadrate weiter wohnten Müller-Passavants. Dort hatte Lukas als Haushüter einmal einen Dieb erwischt. Gelegentlich würde er sie besuchen.
Was Lukas’ neue Wohnung betreffe, fiel dem Etagen-Gutsbesitzer noch ein, die habe vorher einem Callgirl gehört, das Hals über Kopf einem australischen Geschäftsmann nach Canberra gefolgt sei, um dort mit Myrthenkranz eine Monogamie ohne Neugier zu beginnen.
Das Mädchen lächelte grundlos. Oder doch nicht?
Daher die Occasion! Durch den Hotelportier! Der Gedanke, was in zweihundert Jahren auf dem Bühlhof an allzu Zwischenmenschlichem geschehen sein mochte, söhnte Lukas mit letzten Spurenelementen seiner bürgerlichen Erziehung aus. Inzwischen war ja alles frisch gestrichen, selbst die Türen. Der Nachbarhof, ungefähr zweihundert Meter vom Bühlhof entfernt, hieß Alois Bauernfeind. Das Unglück wurde durch den Brauch gemildert, demzufolge Landwirte dieser Gegend entweder beim Vornamen gerufen werden, oder beim Hofnamen, und der war Pacher.
Den Pacherbauern also, den Pacher oder Alois oder Pacheralois hatte Lukas einmal kurz gesprochen, als Renate sie miteinander bekanntmachte. Der Nachbar mußte wissen, wer ihren Hof hütet. Nun kam der Pacher zu ihm, wenn auch nicht direkt. Normalerweise wartet man in dieser Gegend, bis sich eine Beziehung ergibt, oder auch nicht. Man drängt sich nicht auf. Renate hatte Alois gebeten, die Schafe zu versorgen, und Lukas fand ihn auf der Koppel. Von Schottland her mit Cheviot-Schafen vertraut, konnte er unerwartet verständig daherreden, auch waren beide, wie sie feststellten, vom gleichen Jahrgang. Das ergab herzlichen Kontakt.
„Ja, von dem Herrn aus Schottland hat sie schon früher manchmal was g’sagt!“
„Wir sind alte Freunde“, stellte Lukas klar. „Alle drei.“
„Das denk ich mir! Sonst täten’s den Hof net hüten. Mit ihrem Sach’ sind die beiden sehr genau. G’hört sich auch so“, meinte der Pacherbauer. „Und dort droben in Schottland laufen die Schaf’ frei rum?“
„Freier als die Menschen. Mein Pullover ist aus schottischer Schafwolle.“
Der Pacheralois streckte einen Fühler aus, eine von der Arbeit harte, aber sensible Hand. „Weicher als unsere.“
„Sie kommen z’recht hier!“ Ein verschmitztes Lächeln leuchtete auf. „Der Maxi hat mir schon von ihnen erzählt. Wissen’s der...“
Lukas machte die Heb- und Senkbewegung eines Frontladers. Er kannte ländlichen Nachrichtendienst.
Mit einer vielseitig deutbaren Handbewegung winkte der Pacher ab. „Also: Wenn’s was brauchen, kommen’s zu mir.“
„Und wenn Sie was brauchen, rufen’s mich.“
Darauf hätten sie einander die Hand geben können, doch keiner wollte sich aufdrängen. Das gegenseitige Angebot war genug. Lukas fragte auch nicht nach Milch oder Butter, wie das Städter gern tun. Im nächsten Dorf gab es eine moderne Gemischtwarenhandlung, von den Einheimischen Supermarkt genannt. Renate hatte ihn darauf aufmerksam gemacht. Der Konzernableger deckte vielseitigen Bedarf: Socken, Zwiebeln, Schulhefte, Kaffee, Bohnerwachs, Wurst, Nagellack, Käse, Spirituosen und sofort.
Dort rollte Lukas den Kinderwagen der Gier durch die Warenschluchten, widerstand leichtfertigem Zugriff, nahm nur, was er brauchte. Kunden und Personal sahen ihm zu. Weil Fremde sich selten hierher verirren, wo jeder jeden kennt, mutmaßte er und fing seinerseits zu beobachten an, nahm Lächeln wahr, versteckt zumeist. Verständlich! Auf dem Dorf bleibt keiner fremd. Nicht einmal ein Gelegenheitshofhüter.
Einen halbgefüllten Pappkarton in den Händen, ein pauschales Lächeln um Mund- und Augenwinkel, schob er mit dem Rücken die aluminiumgerahmte Glastür auf, verstaute das Gekaufte im Wagen und ging über die Straße in das Haushaltsgeschäft, wo eine behagliche Ladenklingel seinen Eintritt ankündigte. Es roch nach Ware. Von keiner Musik beeinträchtigt, erreichte ihn, statt der Frage, Was kann ich für Sie tun ?, ein federleichtes
Weitere Kostenlose Bücher