GIERIGE BESTIE
angeordnet hatte, die tristen Betonmauern mit bunten Farben zu besprühen, um vielleicht allen Ankommenden, die nicht mit Privatjets nach Genf einflogen, sondern die etwas billigere Art der Bahn bevorzugten, bereits vor Betreten Genfer Bodens die Weltoffenheit dieser Stadt zu demonstrieren.
Ja, auch um ihn herum musste es plötzlich wieder gleißend hell geworden sein, als er das erste Mal Informationen, Verbindungen, Bits und Bytes sein Eigen nannte. Zwar waren die Sammlungen mit ziemlicher Sicherheit am Anfang noch chaotisch, so wie die Graffitis, aber es wurde bunt um ihn herum. Er begann sein tristes Leben ähnlich den Betonwällen mit Farbe und Phantasien auszuschmücken. Plötzlich war er nicht derjenige, der auf vorgegebenen Gleisen fuhr, sondern er war derjenige, der gestalten konnte und in seiner Phantasie erblühte vielleicht bereits eine neue Ordnung.
Dann die Ansage in drei Sprachen, dass wir Genf erreicht hätten. Eine freundliche Frauenstimme hauchte die Namen kleiner französischer Städte, die der Zug in den nächsten Stunden erreichen würde. Namen, die unwillkürlich die Phantasie auf zurückliegende herrliche Urlaube lenkten, die Erinnerungen an Mineralwasser, Leberpasteten, gereiften Käse und vollmundige Weine beinhalteten. Auch er musste mit seinem kleinen privaten Schatz seinen Phantasien freien Lauf lassen. Und damit war der Grundstein gelegt, dass sein ausgetrocknetes Selbstwertgefühl langsam aber sicher zur Größe eines Heißluftballons anschwoll. Er fühlte sich wahrscheinlich nicht nur wie Gott in Frankreich, sondern er spürte plötzlich etwas, was er in den letzten Wochen und Monaten nicht einmal mehr aussprechen konnte: Macht.
Aber wie jedes Ding zwei Seiten besitzt – die Chinesen meinen sogar drei: eines, das du siehst, eines, das ich sehe und eines, das wir beide nicht sehen –, wurde die herrliche Aussicht aus seinem Heißluftballon irgendwann zur Belastung. Die Informationen wurden plötzlich zu schwer, denn er musste sie plötzlich nicht mehr verwalten, sondern auch beschützen. Er war vom Jäger zum Gejagten geworden. Ein Umstand, der noch niemandem gut bekam, der allzu rasch mit Macht ausgestattet wurde. Die meisten Menschen vergessen nämlich, dass sie nur deshalb mächtig sind, weil man ihnen die Macht gegeben hat. Aber genauso schnell, wie man sie ihnen geben kann, kann man sie ihnen auch wieder wegnehmen und davor hatte er mit Sicherheit Angst. Das war der Grund, warum ich hier war. Diese Zusammenhänge wollte ich mit ihm aufklären, was er zu diesem Zeitpunkt mit Sicherheit nicht wollte. Aber es ging mir einzig und allein darum, diese so logischen Entwicklungen mit ihm durchzugehen, denn ich hatte es allzu oft gesehen, dass Menschen sich der Macht bemächtigten, ja förmlich danach gelechzt, gebettelt und für ihren Erhalt sich selbst prostituiert hatten. Und als sie diese schließlich unter Entbehrung vieler Dinge endlich in der Hand hielten, merkten sie plötzlich, wie sie dieses gefühl-, geruch- und farblose Ding nicht zu halten vermochten. Um für einen einzigen Augenblick die Macht in den Händen zu halten, waren Lügen ausgesprochen, Menschen verraten, die eigenen Eltern getötet, sogar Kriege begonnen worden. Diese fünf Buchstaben beinhalteten offensichtlich einen Zauber, dem sich kaum jemand zu entziehen vermag. Auch nicht Ello Dox. Er war zu einem unglaublich mächtigen Menschen geworden. Aber ob er damit zufriedener geworden war, das bezweifelte ich.
vier
Air France, daneben arabische Schriftzeichen und etwas darunter die Übersetzung „Banque“. Der erste weitläufige Blick über den Genfer See. Eine alte Häuserfassade im Hintergrund mit leuchtenden Neonschriftzügen in blauer, gelber und grüner Farbe. Bekannte Uhrenmarken wechseln sich genauso ab wie internationale Banknamen. Neben der Pont du Mont-Blanc eine kleine steinerne Insel mit unterschiedlichen Bäumen, die Pont des Bergues. Die Steininsel indirekt beleuchtet.
Quai des Bergues vorbei am Four-Seasons-Hotel, ebenfalls beflaggt, wo vor dem Eingang unter den Blicken geschäftig wirkender Portiere gerade aus einem hellgrauen Maserati ein tadellos gekleideter südamerikanischer Geschäftsmann mit einer schwarzen Schönheit entstieg.
Den Abschluss zum See bildete nicht nur ein schmiedeeisernes Zäunchen, sondern auch eine Lichterkette aus abertausenden weißen Glühbirnen, die in einem schier endlos wirkenden zusammenhängenden Strang über die Pont de la Machine auf die Südseite des Genfer
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