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Giftiges Grün

Giftiges Grün

Titel: Giftiges Grün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elsemarie Maletzke
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vorausspürte. Plötzlich hieß es, die Reise sei abgesagt, und wenn sie Onkel Heinrich unbedingt besuchen wolle, müsse sie mit seiner neuen Adresse und der Mansarde vorlieb nehmen. Aber der Onkel hatte seine Nichte nie mehr eingeladen.
    Der Verlust war so unfassbar, die Erklärungen so dürftig, dass Lina geglaubt hatte, Buchfinkenschlag sei abgebrannt oder Tante Rose sei gestorben und die Erwachsenen hätten ihr diese Vorgänge verschwiegen. Als junges Mädchen hatte sie Besseres zu tun gehabt, als einer verschwundenen Verwandten nachzugrübeln, und später waren alle Versuche, dem Onkel etwas darüber zu entlocken, an schmalen Lippen und wegwerfenden Handbewegungen gescheitert, als sei die Vergangenheit eine Jacke, deren er sich entledigt hatte. Was war aus Buchfinkenschlag geworden? Es stand noch. Wer wohnte darin? Es interessierte ihn nicht. Warum war Tante Rose weggegangen und wohin?
    »Das muss dich nicht kümmern«, sagte Onkel Heinrich und »weg mit Schaden«. Lina hatte gelernt, nicht impertinent zu sein. Nun würde sie es nie erfahren.
    Klärende Gespräche waren im Hause Weil nicht üblich. Linas Vater, ein verschlossener Mann mit einem schwachen Herzen, den niemand je nach seiner Meinung gefragt hatte, war bei der Übertragung eines Fußball-Länderspiels vor dem Fernsehapparat gestorben, als die glücklose deutsche Mannschaft ein 4:0 kassierte. Lina war zwölf und behielt sein großes Schweigen in Erinnerung. Ihrer Mutter Berta, einer leidenschaftlichen Gärtnerin, erschien alles bedrohlich, das als Meinungsverschiedenheit oder Zwist daherkam. Sie war eine rundliche alte Dame von selbstzufriedenem Temperament und etwas Humor, aber vollkommen unbeeindruckt von anderer Leute Sorgen. Inzwischen sprach sie lieber mit den Rotkehlchen als mit ihren beiden erwachsenen Kindern.

    Die Gläser mit dem grünen Stiel, die Onkel Heinrich aus dem Buffet holte, wenn Lina und Karl ihn besuchten, waren die einzigen Erinnerungsstücke an Buchfinkenschlag. Er trug sie aus dem Zimmer und brachte sie gefüllt auf einem Tablett zurück. Dann prosteten sie sich mit dem lauwarmen Weißwein zu und wussten nicht, wo sie sich hinsetzen sollten, denn die Chaiselonge mit der Wolldecke war auch das Bett des Onkels, dessen Privatheit sie nicht verletzen wollten, und im Sessel war eben nur für einen Platz. Die Küche und das zweite Zimmer hatten sie nie betreten.
    Und nun hatte sich der Onkel verabschiedet, im Tod so allein, wie er gelebt hatte, unwirsch die Hilfe zurückweisend, die ihm eine Pflegekraft anbot. Die Bettpfanne, den feuchten Waschlappen, das klein geschnittene Marmeladenbrot nicht ertragend, hatte er sich im Sessel vornüber gebeugt und war gestorben.
    Seine Hauswirtin, eine Frau Kerz, die im Stockwerk unter ihm wohnte, hatte, so stellte sich nun heraus, nicht auf bestem Fuß mit ihm gestanden. Zu entschieden hatte der alte Jäger auf der Unverletzlichkeit seiner Reviergrenzen beharrt; ihr immer schon auf der Treppe die Sicht und den Zugang zu seiner Wohnung versperrt. Niemals war Frau Kerz bis in den Flur, schon gar nicht bis ins Wohnzimmer vorgedrungen, was sie nun, da die Erben seine Habseligkeiten zusammenräumen wollten, nachholte und mit Seufzen und Kopfschütteln die Tapeten und das Stragula musterte. Karl schickte sie weg. Sie warteten noch auf einen Herrn Eilemann, und sie möge so gut sein, ihm auf sein Klingeln die Haustür zu öffnen.
    »Von mir aus braucht er nicht zu kommen«, sagte Lina. Sie hatte den Vetter Horst Eilemann, den Sohn von Onkel Heinrichs Schwester Tilly, als einen verqueren Menschen in Erinnerung, der kaum von etwas anderem sprach als dem Unrecht, das andere ihm ständig zufügten; dies aber lachend und hämisch, als habe er es gerade so verdient.
    Es war Sommer; in der Mansarde roch es nach Staub und Dachpappe. Durch das Fenster sah Lina auf die in der Sonne glänzende Nussbaumallee, die den Hügel zum Wald hinaufführte, und hoffte, dass auch der Onkel sie mit einem Blick erfasst hatte, ehe er in seine ewigen Jagdgründe eingegangen war.
    »Nimmst du das Wohnzimmer?«, fragte Karl wie ein Altertumsforscher, der sich mit seiner Kollegin an einer Weggabelung in einer ägyptischen Pyramide beratschlagt. Ihr Bruder betrieb ein Antiquariat und Lina wusste, er hatte es auf das Buffet abgesehen, von dem er hoffte, dass es noch Interessanteres barg als die Wild-und-Hund-Kalender.
    »Ja, geh nur«, sagte sie, »ich schau erstmal hier rein.« Sie klinkte die Tür des zweiten Zimmers auf. Durchs

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