Glennkill: Ein Schafskrimmi
gedrängten Schafsschlaf schliefen. Tess, die selbst noch schlaftrunken war, musste sie auseinander treiben. George lachte dann. »Faules Viehzeug!«, rief er. »An die Arbeit!« Jeden Morgen waren sie deshalb ein bisschen beleidigt. Sie grasten, und George verschwand mit Tess hinter seinem Wagen, werkte im Gemüsegarten oder brachte irgendwelche Sachen in Ordnung.
Nachmittags war ihr Ärger abgeklungen. Dann versammelten sie sich manchmal vor den Stufen des Schäferwagens, und George las ihnen vor. Einmal ein Feenmärchen, aus dem sie erfuhren, wie der Tau auf die Wiesen kommt, einmal aus einem Buch über Schafskrankheiten, das ihnen Angst gemacht hatte, einmal einen Krimi, den sie nicht verstanden. George hatte ihn wohl auch nicht verstanden, denn er warf das Buch nach der Hälfte weg, und sie erfuhren nie, wer der Mörder war.
Meistens aber las der alte George Glenn Liebesromane, dünne Heftchen aus grauem Papier, in denen alle Frauen Pamela hießen und rothaarig waren »wie ein Sonnenuntergang in der Südsee«. George las diese Hefte nicht, weil er ein romantischer Typ war, auch nicht, weil er einen schlechten literarischen Geschmack hatte (was zweifellos zutraf, das Buch über Schafskrankheiten war wirklich eine Zumutung gewesen), sondern er las sie, um sich darüber zu ärgern. Er las, wie die rothaarigen Pamelas irgendwelche arglosen Seeräuber, Ärzte oder Barone in ihre Gewalt brachten, und ärgerte sich maßlos, schimpfte über alle rothaarigen Weibsstücke dieser Welt, vor allem aber über seine eigene Frau.
Die Schafe hörten staunend zu, wenn George häusliche Details preisgab. Die schönste Frau im Ort war sie gewesen, seine persönliche Pamela, und anfangs hatte er sein Glück kaum fassen können. Aber kaum waren sie verheiratet, begann Pam (die in Wahrheit Kate hieß), saftige Apfelkuchen zu backen und dick zu werden. George blieb dünn und wurde immer trockener. Er hatte davon geträumt, mit einer Schafherde quer durch Europa zu ziehen, und Apfelkuchen war dafür kein Ersatz. An dieser Stelle senkten die Schafe meistens betreten die Köpfe. Sie wären gerne nach Europa gereist, das sie sich als eine große Wiese voller Apfelbäume vorstellten.
»Wir werden nie nach Europa reisen«, sagte Zora nun.
»Wir werden nie wieder auf die andere Weide gehen«, sagte Heide.
»Heute wäre es wieder Zeit für unsere Tablette.« Nur Lane bedauerte, dass George nicht hier war, um ihnen ihre wöchentliche Kalziumtablette in den Mund zu zwingen. Sie liebte den Geschmack. Die anderen schüttelten sich.
Mopple war ergriffen. »Wir sollten ihn nicht vergessen«, meinte er. »Und wir hätten das Gemüse nicht fressen dürfen. Wir sollten es wieder gutmachen.«
Zora starrte in Richtung Meer. »Warum nicht?«, sagte sie beiläufig. Mopple begann heftig auf seinem letzten Salatblatt herumzukauen. Wenn Zora beiläufig etwas sagte, war er immer wie vom Donner gerührt.
»Wie willst du das wieder gutmachen?«, fragte Cloud.
Sie beschlossen, George zu Ehren auf ein bisschen von ihrer Weide zu verzichten. Nicht auf den Gemüsegarten, der war sowieso nicht mehr zu retten. Doch am Fuße des Hügels fanden sie eine Stelle mit vielen beliebten Kräutern, wo künftig kein Schaf mehr weiden sollte. Sie nannten sie George’s Place. Auf einmal fühlten sie sich erleichtert.
Miss Maple beobachtete von ferne, wie ihre Herde George’s Place gründete. Sie dachte an George, daran, dass er ihnen Geschichten vorgelesen hatte, aber auch daran, dass das in letzter Zeit immer seltener vorgekommen war. Oft kam George gar nicht mehr zu ihnen auf die Weide, sondern fuhr nur kurz mit seinem stinkenden Auto vorbei. Tess sprang vom Beifahrersitz und scheuchte sie am Morgen auf, abends kamen die beiden nochmals, um die Schafe zu zählen. Den ganzen Tag über waren sie verschwunden. Anfangs hatte George versucht, Tessy beizubringen, in seiner Abwesenheit auf die Schafe aufzupassen, aber das war schief gegangen. Die Schäferhündin war davon überzeugt, dass es in erster Linie George war, den sie hüten musste. Um die Schafe kümmerte sie sich nur, um ihm einen Gefallen zu tun.
Miss Maple dachte daran, dass Tess fort war. War sie weggelaufen? Wenn ja, dann musste es etwas sehr Schreckliches sein, das George umgebracht hatte. Die Hündin war treu wie ein Mutterschaf und konnte mutig sein, wenn es nötig war. Für George hätte sie alles getan. Aber George war tot, und Tess war verschwunden.
Auf einmal löste sich Mopple mit ungewohnt
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