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Gletscherkalt - Alpen-Krimi

Gletscherkalt - Alpen-Krimi

Titel: Gletscherkalt - Alpen-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan König
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kräftigen Sägebewegungen
durchtrennt. Er hatte dem am Boden Liegenden die Schlinge am Hals gelöst und
ihn auf den Rücken gedreht. Dann kam er wieder aus dem Fenster geklettert.
    »Ich fahr ins Dorf und ruf die Polizei«, sagte er. »Bleibt ihr
derweil da.«
    »Ich bleib nicht da«, sagte die Frau. »Keine Minute mehr bleibe ich
da. Wo da ein Toter liegt. Gemordet und wo vielleicht der Mörder noch da ist
und ums Haus streicht und dann als Nächstes mich oder ihn …« Sie deutete auf
den Handwerker, der ganz blass im Gesicht war. »Er soll dableiben«, sagte sie.
    Der Alte nickte.
    Der Handwerker blieb da. Aber er ging vom Haus weg bis zur Straße.
In der Nähe des Hauses hielt er es nicht aus.
    *
    Marielle tauchte die Finger in den großen Chalkbeutel, der am
Boden stand, und blies sich das überschüssige Magnesia von den Händen. Im
Gegenlicht sah das aus wie ein Schneegestöber, das vom Sturmwind über den
verschneiten Grat gefegt wird – en miniature.
    Genau in diesem Augenblick begann ihr Handy seine Melodie zu
spielen. »Telefonino!« , rief einer der Jungs aus
Bozen und zeigte auf ihren Rucksack. Marielle wischte sich die weißen Hände am
grasigen Boden ab und kramte das Telefon aus der Deckeltasche. Die Melodie hieß
»Psycho Sam«, war ein Stück von Jeff Beck, begann mit einem ziemlich heftigen
Basssolo, das immer schneller werdend in den Gitarrensound überleitete.
Bisweilen ging ihr das ganz gehörig auf die Nerven.
    Während sie telefonierte, formte sie mit Blick auf Pablo lautlos
einzelne Worte mit den Lippen.
    »S-c-h-w-a-r-z-e-n-b-a-c-h-e-r …«
    Sie nickte mehrfach, ihr Gesicht wurde immer ernster.
    »T-o-t … D-e-r … M-a-n-n … i-s-t … t-o-t …«
    Sie zeigte mit den Fingern ihrer freien Hand nach Norden, dann auf
Pablo und sich.
    »Z-u-r-ü-c-k … W-i-r … s-o-l-l-e-n … z-u-r-ü-c-k-k-o-m-m-e-n …«
    Als sie abgeschaltet hatte, sagte sie zu Pablo: »Paul war’s. Er
braucht uns in Innsbruck.«
    Auf Pablos Gesicht zeigte sich ein imaginäres Fragezeichen. Gleich?,
schien es zu bedeuten.
    »Ja«, sagte Marielle. »Gleich. Aber wir machen noch einen kurzen
Zwischenstopp.«
    Pablo war klar, dass Marielle jetzt nicht mehr erzählen würde,
solange die anderen Boulderer in der Nähe waren.
    »Sie haben den Mann tot aufgefunden«, erzählte Marielle dann, als
sie ein Stück weit weg waren von den anderen, die ihren überraschenden Aufbruch
mit großem Erstaunen verfolgt hatten.
    »Vielleicht können wir ja mal auf Facebook Kontakt aufnehmen«, hatte
Kathi zu Marielle gesagt. Und hinzugefügt, wie sie da zu finden sei.
    Nie im Leben, hatte Marielle gedacht, obwohl ihr die Studentin
sympathisch war – aber nicht, wenn sie von ihr auf das Drama an der
Schattenwand oder auf die Steinschlagmorde angesprochen wurde.
    Als sie mit Pablo im Auto saß, sagte sie: »Der Mann ist ermordet
worden. In einem einsamen Häuschen irgendwo bei Laihen oder so ähnlich. Muss
ein Bergdorf oberhalb des Grödnertals sein. Schwarzenbacher meint, es wäre gut,
wenn wir da mal hinfahren und uns umhören würden. Und so, wie’s aussieht, ist
unser Dolomitentrip dann auch schon zu Ende. Ihm wäre am liebsten, wenn wir
zurückfahren und uns morgen bei Reuss in Innsbruck treffen könnten. Um halb
sechs abends. So, jetzt kennst du den Stand der Dinge.«
    *
    Tinhofer sperrte das Auto ab, verstaute den Schlüssel im
Rucksack und machte sich auf den langen Weg in Richtung der Kasseler Hütte.
Vier bis fünf Stunden Aufstieg lagen bis zur Hütte vor ihm, doch er wollte
sogar noch mindestens ein, zwei Stunden weiter, an der Hütte vorbei und bis zu
den Gletschern, deretwegen er ja hierherkam. Zwei Wegstunden davon hätte er
sich sparen können, wenn er den Shuttlebus genommen hätte, der die Wanderer bis
zur Daxach-Alm am Ende des Hochtales brachte. Aber er wollte nicht auf den Bus
warten, nicht mit dem Bus fahren, er wollte gehen, gehen, gehen. Im Gehen
erlangte er ein wenig Gelassenheit, gewann Abstand von allem, was ihn
belastete, und verdrängte, was er nicht wahrhaben wollte.
    Die ersten Stunden war es nicht allzu steil: ein asphaltiertes
Sträßchen, das in relativ unspektakulärer Berglandschaft taleinwärts führte.
Danach, das wusste er, schließlich war er nicht zum ersten Mal hier, würde
nicht nur der Weg schöner werden, sondern auch die Landschaft: eine Hochweide, dann
ein steiler Steig, mit Urgesteinsplatten angelegt, der in vielen Kehren und
Windungen zur Hütte hinaufführte. Er freute sich auf das klare

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