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Glückliche Ehe

Glückliche Ehe

Titel: Glückliche Ehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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ihrem warmen Duft und ihrem weißen Hals und ihren fröhlichen Brüsten, und zum ersten Mal seit seiner Pubertät wünschte er sich inbrünstig, dass Geschlechtsverkehr nicht existierte.
    *
    Er schrak hoch, mit hämmerndem Herzen, die Augen sandig von der Müdigkeit, Nebel im Kopf – von ihrem Bett kamen unruhige Geräusche. Er knipste die Lampe an, die er neben der Luftmatratze auf den Boden gestellt hatte. Siebewegte sich, kroch wieder herum, in Laken und Decke verheddert, unglücklich und verzweifelt versuchte sie zu entkommen und gleichzeitig weiterzuschlafen. Wie vorhin. Er sprang auf. »Ich bin hier, Mugs. Moment, ich helfe dir.« Er betete, dass es die nachlassende Wirkung des Ativan war und nicht erneuter Durchfall.
    Er bemerkte Flecken auf dem Spannlaken. Bräunlich, manche fast grün. Er seufzte tief. Er wollte am liebsten fort von hier. Die Treppe runter und zur Wohnungstür hinaus, es irgendjemandem überlassen, sie zu finden und sauberzumachen und ihr beim Sterben zuzusehen. Warum muss ich das tun? Ich bin ein egoistischer Mensch. Warum muss ausgerechnet ich gut sein?
    Das alles, dieser ganze Hass auf ihr Sterben, strömte mit dem Einatmen durch seinen Körper und schien sich mit dem tiefen Ausatmen wieder zu verflüchtigen. Er bewegte sich schnell und ohne nachzudenken. Er musste nach unten, neue Waschlappen suchen, weil der Durchfall wieder klebrig und schwer abzuwischen war. Die Schmerzen in Oberschenkel und Rücken erinnerten ihn daran, diesmal nicht zu rennen. Nach einem Zwischenstopp in der Küche, um Müllbeutel zu holen, ging er zum Wäscheschrank im Flur. Margaret hatte die letzte saubere Steppdecke verschmutzt. Er fischte eine leichte Baumwolldecke vom obersten Bord. Er bemerkte, dass Max’ Zimmertür zu war. Also war er doch nach Hause gekommen. Hatte er sich mit seiner neuen Freundin gestritten? Darüber würde Enrique nicht mit Margaret sprechen können, die erste von vielen Fragen, die seine Kinder betrafen und die er sich in Zukunft allein würde beantworten müssen. Bei Rebecca war kein Licht. Er sollte sie wecken. Aber wozu? Damit sie ihm Gesellschaft leistete? Er konnte Margaret auch allein waschen.
    Doch als er wieder oben war, stellte sich heraus, dass die Aufgabe nun schwieriger war. Diesmal wehrte sie sich. JedeBerührung ihrer Haut schien ihr unangenehm. Sie wand sich unter den warmen Waschlappen weg, gab unmutige Laute von sich und zog den Kopf ein, als er ihr das beschmutzte T-Shirt ausziehen wollte. »Mugsie, ich will dir nur was Sauberes anziehen. Gleich hast du’s wieder gemütlich.« Gemütlich? Er klang wie der letzte Idiot. Vielleicht redeten ja deshalb Krankenschwestern solch schwachsinniges Zeug – was sollte man Schlaues sagen zu jemandem, den die Dunkelheit des Todeskampfes verschluckt hatte? Wie die eigenen mühseligen und hoffnungslosen Handreichungen erklären?
    Es dauerte länger, weil sie sich wehrte. Er musste noch zwei Waschlappen holen und sie in warmem Wasser einweichen, dann Margaret mit einer Hand festhalten, während er ihr das klebrige Zeug abrubbelte. Er musterte ihr Gesicht, um zu sehen, ob sie bei Bewusstsein war, aber während der ganzen Prozedur – und die dauerte fast zwanzig Minuten – ließ sie die Augen zu und reagierte auf keine seiner Fragen. Es sah aus, als delirierte sie. Als er sie endlich in sauberen Sachen auf einem sauberen Laken unter einer sauberen Baumwolldecke hatte, hörte sie auf, Missfallenslaute von sich zu geben.
    Enrique machte das Licht aus, legte sich wieder hin und wartete, dass seine Augen sich an das Dunkel gewöhnten. Er hörte ihr Bettzeug rascheln. Aber Margaret schien nicht mehr so unruhig zu sein. Es war Viertel vor drei. Er konnte Dr. Ambinder anrufen und den jungen Mann aus dem Schlaf holen, aber was sollte der schon anderes raten, als ihr intravenös Ativan und Thorazin zu geben? Das also würde Enriques Abschied sein: keine Worte, sondern das Anhängen eines Plastikbeutels.
    Dann, plötzlich, pochte sein Kopf und sein Herz raste. Da im Dunkeln war jemand. »Was ist?«, rief er aus und langte nach der Person neben der Luftmatratze. Er fiel über die Kante, schlug mit dem Kinn auf die Eichendielen. Erwar nur ein paar Zentimeter gefallen, rappelte sich hoch und machte Licht.
    Neben ihm war niemand. Trotzdem schnappte er nach Luft. Margaret saß im Bett, die Augen geschlossen. Eine Hand tastete blind nach irgendeinem Trugbild. Er setzte sich aufs Bett, sah sie an. »Was ist, Mugs?« Sie legte sich wieder hin,

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