Glückliche Ehe
hast einen Roman veröffentlicht?«, fragte Sally, die wohlgeformten Lippen ein Stück geöffnet, die grünen Augen aufgerissen, so erstaunt, dass Enrique lachen musste. Er sagte: »Sieht so aus«, und ging nicht weiter darauf ein. Das Letzte, was er diesem Publikum aus hübschen jungen Frauen darbieten wollte, war die traurige Ballade seiner Karriere. Er fragte Penelope, wie sie an ihren Job gekommen sei, seit wann sie Lily kenne und wie sie ihren Mann Porter kennengelernt habe, und bald schon konnte er sich sicher im Hintergrund halten und zuhören, wie die Mädels über ihre Weihnachtsferien, ihre Familien und – in Sallys und Penelopes Fall – ihre Männer redeten. Er genoss es, ihre Beschwerden mitzuhören, und noch mehr genoss er ihre hitzigen Diskussionen über ihre jeweiligen Friseure, die ihnen irgendwelche Frisuren verpassen wollten, und es überraschte ihn, wie aufrichtig interessiert sie über William Styrons demnächst erscheinenden Roman Sophies Entscheidung debattierten, den drei von ihnen als Manuskript gelesen hatten. Im Gegensatz zu seinen Eltern und allen Schriftstellern, die er je gekannt hatte, schienen sie sich wirklich damit auseinanderzusetzen,ob das Buch als solches gut war. Sie nahmen die Lektüre nicht zum Anlass für ausholende Darlegungen ihrer eigenen Ambitionen oder ihrer komplexen Weltsicht. Überhaupt praktizierten sie eine charmante Art der Gesprächsführung: Sie gingen mühelos und mit gleicher Ernsthaftigkeit von der Frage, ob es sich lohne, sich im Winter die Zehennägel zu lackieren, über zur Frage, ob Jimmy Carters Präsidentschaft Frieden in Jerusalem bringen werde.
»Du bist so lieb«, sagte Margaret irgendwann. »Ist er nicht geduldig, unser Enrique?«
»Er ist phantastisch«, sagte Penelope. »Porter würde sich lieber erschießen, als unserem Tratsch zuzuhören.«
Enrique lächelte die Frauen an, ein artiges Lächeln, das, wie er hoffte, signalisieren würde, dass er sie nur aus Nettigkeit ertrug, während er in Wirklichkeit froh und dankbar dafür war, von all dieser Weiblichkeit, diesen Frauen mit ihrem roten, schwarzen, blonden und braunen Haar, umgeben zu sein, dem Quartett ihrer melodischen Stimmen zuzuhören – Margarets lebhaft, Sallys immer etwas verblüfft, Lilys warmherzig und Penelopes skeptisch – und verstohlene Blicke auf ihre weißen Hälse, jungen Brüste, kleinen Hände, rührend zarten Handgelenke und zierlichen Finger werfen zu können. Irgendwann hatten sie genug. Nach drei Stunden machten sie Anstalten zu gehen und bedankten sich höflich bei ihm dafür, dass er ihr Treffen so unterhaltsam gemacht habe. Das war eine offensichtliche Lüge, da er fast die ganze Zeit geschwiegen hatte, aber sie schienen sich tatsächlich nur ungern trennen zu wollen und beschlossen, noch alle zusammen zur U-Bahn-Station West Fourth Street zu laufen, ehe Margaret und Enrique sich absetzen würden.
Vor dem Restaurant wandten sie sich nach links, und Enrique legte ohne nachzudenken den Arm um Margarets schmale Schultern und zog sie an sich. Sie schmiegte sich an ihn, als wäre sie froh, seinen langen Körper als Schutz gegenden Januarwind zu haben. Als er sich nach den anderen umblickte, sah er, dass sie ihn anstarrten, statt sich in Richtung Sixth Avenue zu bewegen. Sie lächelten alle drei, als ob gerade etwas öffentlich verkündet worden wäre. War ihnen nicht klar, dass wir was miteinander haben?, fragte er sich. Margaret hatte doch vorhin von dem Date erzählt. Bis sie sich schließlich trennten, hatten sie die Überraschung verwunden und schwatzten schon wieder fröhlich über ihre Haare, ihre Jobs, ihre Männer und sonstige Katastrophen. Alle drei küssten Enrique auf die Wange, und Lily umarmte ihn fest und sagte: »Du bist so groß!« Er fühlte sich, als hätte man ihn in einem fremden Land freundlich aufgenommen.
Ohne dass irgendwie angesprochen wurde, was sie jetzt machen würden, entzog sich Margaret nicht seiner Umarmung. Sie redete während des ganzen Wegs, erklärte dies und jenes über Sally, Penelope und Lily, und er hörte zu, versuchte, sich alle diese Einzelheiten zu merken, weil sie ihr wichtig waren und deshalb von jetzt an auch ihm wichtig sein würden. Er tat sein Bestes, nicht an das zu denken, was auf ihn zukam. Sie gingen an ihrem abschätzigen Portier vorbei, gelangten nach oben in ihr Parkettboden-Studio und zogen die Mäntel aus, und sie machte noch eine Kanne Kaffee und ließ sich dann neben ihm nieder, mit ihren Haarvolants und
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