Goldkehlchen: Kriminalroman (German Edition)
ziemlich fleißig. Da kann bei der Anzahl der Duschen kein Wasser faul werden.«
Dr. Callidus nickte wieder zustimmend. Man konnte ihm ansehen, dass sein Kopf arbeitete. Er überlegte, ob es weitere Möglichkeiten der Infektion geben könnte. Er kannte das Gebäude schließlich in-und auswendig. Möglicherweise hatte der Arzt ja etwas übersehen.
Plötzlich hielt er inne. »Der Wasserspender im ersten Obergeschoss!«
Rabenstein weitete die Augen.
»Wir haben da so einen Wasserspender für unsere Alumnen. Da ist eigentlich immer stilles Mineralwasser drin.«
»Und?«, hakte der Arzt nach. »Ist etwas mit dem Wasserspender?«
Callidus überlegte. »Der Wasserspender ist schon seit einer Woche kaputt. Es kommt einfach kein Wasser mehr heraus. Aus Sicherheitsgründen hatten wir dann ein Schild ›Defekt‹ über den Hahn geklebt. Natürlich haben wir auch jemanden beauftragt, den Wasserspender zu reparieren, aber Sie wissen ja, wie das ist mit den Handwerkern heutzutage. Die kommen lieber übermorgen als heute.«
»Seit einer Woche, sagten Sie?«
Der Alumnatsleiter nickte.
»Kann ich mir den Wasserspender einmal ansehen?«
Sie stellten überrascht fest, dass das Schild ›Defekt‹ entfernt worden war. Auch schien der Spender wieder einwandfrei zu funktionieren. Der Becher, den Dr. Rabenstein unter den Hahn hielt, ließ sich problemlos füllen. Nachdem der Becher des Arztes zur Hälfte voll war, hielt er ihn mit kreisenden Bewegungen unter die Nase.
»Sie sollten jetzt besser die Polizei benachrichtigen.«
Kroll und sein Kollege Wiggins, gleichfalls Hauptkommissar, saßen an ihren Schreibtischen in ihrem gemeinsamen Büro. Sie nutzten die Zeit ohne aktuellen Mordfall, um den Papierkram zu erledigen, der sich in den letzten Tagen und Wochen angestaut hatte. Eine Arbeit, die Wiggins leichter fiel als Kroll. Wiggins war wie immer adrett gekleidet, Jeans, Oberhemd und darüber ein Jackett. Er war Mitte 40, groß gewachsen und auffällig schlank. Seine braunen Haare, die er gescheitelt trug, verliehen ihm zusammen mit der runden Brille ein intellektuelles Äußeres, das durchaus nicht täuschte. Wiggins war schon immer bei den Besten gewesen, in der Schule sowie auf der Polizeischule, und hatte stets herausragende Noten. Nach dem Abitur hatte seine Mutter schon von einer wissenschaftlichen Karriere geträumt, aber Wiggins hatte sich für die Polizei entschieden. Inzwischen hatte sie sich damit abgefunden. Seine intellektuellen Fähigkeiten und Krolls praktische Vorgehensweise waren die ideale Kombination.
Kroll hatte Wiggins von den Ereignissen in der Thomaskirche erzählt und auch die Besorgnis des Staatsanwaltes nicht unerwähnt gelassen. Wiggins konnte sich auch keinen Reim auf die Geschichte machen, seine erste Vermutung ging in Richtung Trophäenjäger.
Die Tür flog auf und Staatsanwalt Reis stürmte in ihr Büro. »Los, kommt! Wir fahren zum Thomanerchor!«
Kroll und Wiggins sahen sich irritiert an. Dann folgten sie dem Staatsanwalt.
Montagmittag
Vor dem Alumnat in der Hillerstraße herrschte hektische Betriebsamkeit. Zahlreiche PKWs hatten ohne Rücksicht auf Verbotsschilder eine Lücke zum Parken gefunden und warteten darauf, mit großen Sporttaschen und kleinen Jungs beladen zu werden. In der Eingangshalle herrschte Hochbetrieb. Die Beamten vermuteten, dass der Mann, der ihnen mit einem Arztkoffer entgegenkam, Dr. Rabenstein war. Reis stellte sich ihm in den Weg. »Mein Name ist Reis, ich bin der ermittelnde Staatsanwalt. Hätten Sie noch ein wenig Zeit für uns, Herr Doktor?«
Der Arzt sah auf die Uhr. Die Bitte des Staatsanwaltes schien ihm nicht gelegen zu kommen. Er ließ es sich aber nicht anmerken. »Natürlich. Ich schlage vor, wir gehen nach oben zum Wasserspender.«
Die Spurensicherung hatte schon einen großen Plastikbeutel über den Wasserspender gestülpt, um ihn für den Transport zum Labor vorzubereiten. Dr. Callidus, der Alumnatsleiter, beobachtete jeden Handgriff mit besorgtem Gesicht.
»Wie sind Sie denn auf dieses Gerät hier gekommen?«, fragte Reis den Arzt.
Rabenstein schaute kurz zu Callidus. »Ich gehe davon aus, dass es sich hier um eine Salmonellenvergiftung handelt. Nach der Untersuchung der erkrankten Burschen habe ich mit dem Leiter des Internats geredet. Er hat mir erzählt, dass der Wasserspender wegen eines Defektes seit längerer Zeit nicht in Benutzung war. Abgestandenes Wasser ist immer ein guter Nährboden für Salmonellen. Ich habe dann an einer Probe
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