Goldrausch: Tannenbergs zweiter Fall
emotionale Bindung entstanden, jedenfalls nicht von seiner Seite aus. Eva schien möglicherweise anders zu empfinden. Genau wusste er das allerdings auch nicht. Diesem Thema ging er stets aus dem Weg. Er hatte ihr gesagt, dass er Zeit brauche, auch wegen Lea, seiner Frau, die vor einigen Jahren verstorben war, die ihn aber in Wirklichkeit nie verlassen hatte, sondern ihn immer noch Tag für Tag durch sein Leben begleitete.
»Du, Wolf, das ist schon merkwürdig«, drängte sich die Mitarbeiterin des Landeskriminalamtes mit Vehemenz in Tannenbergs Gedankenwelt.
»Was ist merkwürdig?«, fragte er mürrisch.
»Na ja, ich bin schon lange nicht mehr mit der Bahn gefahren und hab eigentlich gedacht, es hätte sich nach der Privatisierung dieses ehemaligen Staatsunternehmens einiges zum Positiven verändert. Das scheint aber nicht der Fall zu sein: Die Züge werden immer noch von unfreundlichem Personal begleitet, sind immer noch überfüllt und dreckig. Da scheint sich wirklich nichts Entscheidendes getan zu haben.«
»Wie auch? Es sind ja immer noch dieselben Leute, die dort arbeiten«, knurrte er übellaunig vor sich hin.
»Aber die investieren doch enorme Summen.«
»Vielleicht in Gleise – oder was weiß ich«, meinte Tannenberg zusehends genervter.
Dieses Thema schien ihn überhaupt nicht zu interessieren.
»Du beschäftigst dich wohl nicht sehr gerne mit wirtschaftlichen Dingen, oder?«, lies sie nicht locker.
»Nein, damit hab ich wirklich nichts am Hut.«
»Zu recht!«, bemerkte Dr. Eva Glück-Mankowski mit ironischem Unterton, fasste Tannenberg an seiner linken Schulter, wartete, bis er sich zu ihr gedreht hatte und blickte ihm dann tief in die Augen. »Du bist schließlich Beamter; und ein Beamter braucht sich um solche Sachen ja auch nicht zu kümmern. Der bekommt sein Geld vom Staat, zahlt keine Sozialversicherung, zieht sich abends seine Zipfelmütze über die Ohren, zündet sich eine Kerze an und begibt sich nach vollbrachtem Tagwerk zufrieden zur Nachtruhe, wo er dann von der nächsten Beförderung träumt.«
»Meine liebe Eva, wenn du mich zum tumben Deutschen Michel degradieren willst, solltest du nicht vergessen, dass du selbst Beamtin bist«, entgegnete der altgediente Kriminalhauptkommissar schlagfertig.
»Ja, und? Ich interessiere mich trotzdem für ökonomische Zusammenhänge«, rief Eva über eine wie an einer Perlenschnur aufgezogene Jugendgruppe hinweg, die sich zwischen sie und Tannenberg gedrängt hatte.
Der Leiter der Kaiserslauterer Mordkommission hatte keine Lust mehr, sich die Seele aus dem Leib zu schreien und forderte deshalb seine Begleiterin mit eindeutigen Gesten zum beschleunigten Verlassen der überfüllten Bahnhofshalle auf.
Als sie schließlich draußen im Freien standen, gab die Kriminalpsychologin immer noch keine Ruhe. Wie ein zeterndes altes Marktweib, das gerade von einem Kunden auf verdorbene Ware hingewiesen wurde, redete sie gestenreich weiter auf ihn ein: »Auch einem Beamten sollte doch eigentlich klar sein, dass die Wirtschaft unsere Gesellschaft bestimmt und nicht umgekehrt! – Und was heißt das?«
Schweigend drehte Tannenberg sein Gesicht in die letzten wärmenden Sonnenstrahlen eines bilderbuchmäßigen Herbsttages.
»Und das heißt letztlich: Wir sollten uns alle für ökonomische Zusammenhänge interessieren, weil sie – und ich betone ausdrücklich, nur sie – der Garant für den reibungslosen Fortbestand unserer freiheitlichen, demokratischen Gesellschaft sind! Oder was glaubst du wohl, wie schnell unser politisches System mit all seinen schönen sozialen und humanistischen Werten zusammenbrechen würde, wenn die Arbeitslosigkeit steigt und steigt, den Leuten ihr Wohlstand flöten geht, Klassenkämpfe wieder ausbrechen …«
»Jetzt hör aber mal auf!«, warf Tannenberg energisch dazwischen. »Du redest ja wie eine Wirtschaftspolitikerin! Was soll ich denn machen, um dich zufrieden zu stellen? Mir Telekom-Aktien kaufen?«
»Na, das wäre sicherlich nicht die beste Entscheidung«, stellte die Kriminalpsychologin belustigt fest. »Welcher einigermaßen intelligente Mensch wäre denn bereit, einem privatisierten Staatsunternehmen sein sauer verdientes Geld in die Rippen zu werfen? Nein, aber du könntest dich einem Investmentclub anschließen.«
»Was für ’n Quatsch! Was soll ich denn da?«
»Zum Beispiel etwas lernen. Du würdest staunen, von welchen Dingen du bislang überhaupt keine Ahnung hast! Und du könntest übrigens auch nebenbei
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