Gomorrha
alle umarmen. Er lächelte höflich, aber väterlich. Inzwischen hatte die Schlägerei um sich gegriffen. Auch die Delegationen Ohios, Nevadas und Oklahomas waren dabei. Driskill blickte auf den Monitor. Es mußten ungefähr fünfhundert Menschen sein, die sich prügelten. Es floß viel Blut, aber in der Riesenmenge ging es unter.
Driskills Augen hafteten auf Bohannons Rücken. Dann drehte Bohannon sich um und musterte die Menge. Driskill sah wieder die Augen. Dann erfaßte ein Scheinwerfer Bohannon, und er legte schützend die Hand über die Augen. Aber Driskill spürte, daß Bohannon ihn gesehen hatte. Er kämpfte sich durch die Delegationen aus Alabama, Connecticut und Colorado näher ans Podium heran.
Dort stand Taylor und salutierte. Irgendeine Kapelle stimmte die ›Marine’s Hymn‹ an. Der Präsident streckte Taylor die Hand entgegen. Plötzlich wurden in der Nähe des Podiums mehrere riesige Plakate hochgehoben. Bonner und Taylor – unsere Zukunft.
Beide Gesichter im Profil schauten sich an. Dann ging Taylor auf den Präsidenten zu und schüttelte ihm – ohne zu lächeln – die Hand. Driskill hatte Bohannon eine Sekunde lang aus den Augen gelassen und zum Podium geblickt. Jetzt war Bohannon plötzlich verschwunden. Driskill stockte das Herz. Er rammte die Schulter gegen einen Delegierten und schob den nächsten mit seinen großen Händen aus dem Weg. Dann hatte er Bohannon wieder vor sich. Er stand inmitten von dreißig Marineinfanteristen, Taylors Leibwächtern, und schaute suchend nach hinten. Er wußte, daß ihm jemand folgte, aber er war nicht sicher, warum. Diese unheimlichen Augen glitten über die Gesichter in der Menge, auch über Driskills. Mein Gott! …
Bohannon hielt nach einem anderen Ausschau!
Noch jemand verfolgte ihn, aber wer? Wer wußte, daß er hier war? Er war ein Geschöpf des Generals. Jetzt hatte Sherman Taylor ein Mikrophon in der Hand und wartete auf eine Gelegenheit, sich in dem Lärm Gehör zu verschaffen. Nun konzentrierten sich die Scheinwerfer auf ihn. Er konnte sprechen.
»Es stimmt, daß ich heute abend hergekommen bin, um meinen großartigen Freund Bob Hazlitt zu ehren, der mich so sehr inspiriert hat.« Donnernder Applaus brach wie eine Lawine los. Auch die Marineinfanteristen klatschten. Bohannons Kopf blieb reglos. »Aber ich bin heute abend auch hergekommen, um etwas zu klären. Ich stehe hier … und bitte Sie um Unterstützung … wenn ich für das Amt des …« Es herrschte atemlose Stille im Saal. Man konnte sich beinahe denken hören. Die Stimme des Generals ertönte gewaltig aus den vielen Lautsprechern. Die Toningenieure hofften zu Gott, daß alles zu den Satelliten drang und weltweit übertragen werden konnte.
Nur zehn Menschen trennten jetzt Bohannon von Driskill. Plötzlich sprang Bohannon aufs Podium, zwischen den Präsidenten und General Taylor. Driskill konnte nicht genau sehen, was sich oben abspielte. Dann fiel der General steif wie eine Puppe nach hinten. Blut schoß aus der Wunde in der Kehle auf die Tapferkeitsmedaille und spritzte auf die kugelsicheren Scheiben, die Sherman Taylor nicht hatten schützen können. Der Präsident sprang zu Taylor, wollte ihn auffangen und kniete sich neben ihn auf den Boden. Dann blickte er – mit dem blutbesudelten Leichnam Sherman Taylors in den Armen – auf die Menge hinab. In seinen Augen stand unsägliche Trauer geschrieben, für alle Welt zu sehen. Später wurde es das berühmteste historische Foto in der Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika …
Ein sterbender, blutüberströmter Präsident in den Armen eines anderen Präsidenten.
Driskill wußte nicht, wie viele Sekunden er auf das unglaublich eindrucksvolle Bild auf dem Podium gestarrt hatte. Charlie war zwar mit Blut bespritzt, aber heil und gesund. Dann stürzten von allen Seiten Sicherheitsleute herbei. Mac und Oliver Landesmann wollten dem Präsidenten helfen. Landesmann rutschte auf dem Blut aus. Als Driskill sich dann nach Bohannon umsah, war dieser verschwunden. Niemand wußte bei der schwachen Beleuchtung, woher die Kugel gekommen war.
Plötzlich prallte ein Marineinfanterist mit Driskill zusammen. Ihre Augen trafen sich. Dann stieß der Soldat Driskill beiseite. In der anderen Hand hielt er ein blutiges Kampfmesser, nicht sehr groß. Driskill riß beim Sturz mehrere schreiende Delegierte mit. Dann sah er den Marineinfanteristen mit dem blutigen Messer wild mit den Fäusten um sich schlagen.
Driskill kapierte überhaupt nichts
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