Grabstein - Mùbei: Die große chinesische Hungerkatastrophe 1958-1962 (German Edition)
Shaoqi blieb bei seiner Meinung und fragte, als wolle er sich belehren lassen: Das mit dieser ›Clique‹, das habe ich noch nie verstanden. Es gibt Leute, die den Weg des Kapitalismus gehen, aber wenn die Bourgeoisie im Begriff ist abzusterben, wie kann es dann irgendwelche solche Cliquen geben? Wenn man von Cliquen und Fraktionen spricht, dann sind das schon zu viele, es gibt einfach nicht überall einen Konflikt: wir und der Feind. Im Ministerium für Kohle, im Ministerium für Metallurgie, wo sollen denn da die ganzen Machtcliquen herkommen, die den Weg des Kapitalismus gehen?
Ohne nachzudenken platzte Mao heraus: Zhang Linzhi ist so einer!
Liu Shaoqi fragte nicht weiter. Denn unter den damaligen Umständen musste jeder seinen Hut nehmen, den Mao in diesem Sinne beim Namen nannte.« [923]
Ein paar Tage später, am 26. Dezember, war Maos 71. Geburtstag. Er ließ in der Großen Halle des Volkes Tische aufstellen. Er selbst saß mit ein paar Wissenschaftlern und Modellarbeitern an einem Tisch, die restlichen Führungsleute des Zentralkomitees saßen an den anderen. Bei solchen Gelegenheiten unterhielt sich Mao oft ganz ausgezeichnet, aber diesmal machte er ein ernstes Gesicht. Als es losging, sagte er, heute habe ich meine Kinder nicht kommen lassen, denn sie haben mit der Revolution nichts zu tun.
Anschließend kritisierte er eine Reihe von Vorschlägen, die im Rahmen der Kampagne für sozialistische Erziehung aufgekommen waren: Was heißt hier Vier Säuberungen und Vier Nicht-Säuberungen, Überschneidung von Konflikten innerhalb und außerhalb der Partei? Das hat mit Marxismus nichts zu tun. Und dann noch dem Zentralkomitee Vorwürfe machen, die Behörden seien ein ›Reich für sich‹ und es bestehe die Gefahr des Revisionismus in der Partei.
An den Tischen war es mucksmäuschenstill. [924]
Am 28. Januar wurden die Vier Säuberungen weiter diskutiert. Diesmal führte Deng Xiaoping den Vorsitz. Er glaubte, das sei eine ganz normale Berichtstagung der Sekretäre des Zentralkomitees und sagte zu Mao Zedong: »Wenn es dem Vorsitzenden nicht gutgeht, er muss nicht teilnehmen.«
Mao nahm die Verfassung der Volksrepublik China in die eine Hand und in die andere die Statuten der Kommunistischen Partei und ging in den Tagungsraum. Er sagte: »Einer sagt, ich soll nicht an der Tagung teilnehmen [das ging gegen Deng Xiaoping], der andere sagt, ich soll keine Rede halten [das ging in Richtung Liu Shaoqi], warum beraubt ihr mich der Rechte, die mir die Verfassung und die Parteistatuten geben?«
Was meinte Mao damit, wenn er in Anspielung auf Liu Shaoqi sagte, »ich soll keine Rede halten?«
In seinen späten Erinnerungen beschreibt Chen Boda die Situation:
»Auf dem Meeting des Zentralkomitees, auf dem die 23 Richtlinien diskutiert wurden, hat der Vorsitzende Mao als Erster das Wort ergriffen, hatte aber noch nicht richtig angefangen, als ihm Liu Shaoqi ins Wort fiel. Ein paar Sätze einzuwerfen, ging schon nicht, man musste die Leute immer ausreden lassen. Aber Liu hörte gar nicht mehr auf. Der Vorsitzende Mao hatte keine Chance fortzufahren. Am nächsten Tag nahm der Vorsitzende die Parteistatuten und meinte, die Parteistatuten legten fest, dass Parteimitglieder auf Meetings ein Rederecht hätten. Und natürlich wusste jeder sofort, dass er damit Liu Shaoqi meinte, der ihn nicht hatte ausreden lassen.« [925]
An diesem Beispiel wird deutlich, wie tief der Konflikt zwischen den beiden war. Wang Guangmei und Liu Yuan schreiben in ihrem Buch: »Mao Zedong konnte nicht die geringste Herausforderung seiner Autorität ertragen, eine gleichberechtigte Diskussion bedeutete für ihn eine Missachtung seiner Autorität. Beim geringsten Widerspruch rastete er aus. Zu Liu Shaoqi sagte er: ›Wer bist du denn schon? Wenn ich mit dem kleinen Finger winke, bist du erledigt!‹« [926]
Mao Zedong hat 1970 in einem Interview mit dem amerikanischen Journalisten Edgar Snow gesagt, bei der Diskussion über die 23 Richtlinien im Januar 1964 habe er beschlossen, Liu Shaoqi zu entmachten.
Und das hat er dann während der Kulturrevolution auch tatsächlich getan. Natürlich hat er nicht nur mit dem kleinen Finger gewinkt, sondern eine gewaltige politische Kampagne in Szene gesetzt. Doch die Kulturrevolution alleine und ausschließlich auf den Machtkampf zwischen Mao und Liu und das Wesen und den Charakter von Mao zurückzuführen, wäre zu einfach; doch sind Maos Zweifel an und seine Unzufriedenheit mit Liu ein
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