Grauen im Grand Hotel
sein kann, steht fest. Haben Sie irgendwelche Ergebnisse erhalten, was sein Kommen angeht. Haben Sie herausgefunden, wo er möglicherweise herkam?«
»Leider nichts. Es sind Hausbewohner befragt worden, die aber haben nichts gesehen.«
»Pech.«
»Ob Sie es wollen oder nicht, John, die Aufklärung finden Sie nicht hier, sondern in Sils-Maria. Es soll ein wunderschöner Ort sein, praktisch am Ende der Welt. Umgeben von Bergen, wo man eigentlich mal richtig ausspannen müßte.«
»Danke für diesen Rat, Sir.«
»Sie werden natürlich versuchen, den Fall so rasch wie möglich zu lösen. Entspannen gilt nicht.«
»Bin ich gewohnt, Sir.« Ich streckte die Hand aus. »Kann ich den Brief mitnehmen?«
»Sie bekommen eine Kopie.«
»Ist mir auch recht.«
Jemand klopfte an die Tür und unterbrach unser Gespräch. Bevor wir ihn hereinbitten konnten, betrat der Mann den Raum und nickte uns zu. Ich wußte nur, daß er beim Geheimdienst so etwas wie ein Abteilungsleiter spielte und hier den Chef markierte. Dabei sah er nicht danach aus. Er war mager, ziemlich klein, trug einen grauen Anzug, eine farblose Krawatte und eine meiner Ansicht nach zu kleine Brille, die ihn auf der Nase klemmen mußte. Seine Augen aber waren kalt wie Gletschereis. Mich übersah er und nickte Sir James zu.
»Nehmen Sie Platz, Roberts.« Der Mann setzte sich. Sir James kannte ihn besser. »Ich will zwar nicht spekulieren, Roberts, doch Ihrem Gesicht entnehme ich, daß Sie fündig geworden sind. Sie haben etwas entdeckt.«
»Das stimmt.«
»Und was haben Sie herausgefunden?«
Roberts legte die Stirn in Falten und seine Hände gegeneinander. »Es ist so, daß wir uns mit diesem Killer beschäftigt haben, weil einer meiner Leute der Ansicht war, den Mann zu kennen.«
»Hatte er recht?«
»Ja. Er hat sich nicht geirrt. Dieser zwergenhafte Killer ist in unseren Kreisen tatsächlich bekannt. Ich will nicht gerade sagen, daß er einer von uns ist, aber er arbeitet auf demselben Gebiet, steht allerdings auf der anderen Seite.«
»Also Agent.«
»Sicher. Er läuft unter dem Decknamen Donauschiffer und ist für den rumänischen Geheimdienst tätig gewesen. Seit etwa einem halben Jahr ist er verschwunden. Wir gingen davon aus, daß er ein Opfer des Aufstands damals geworden ist. War wohl ein Irrtum, wie wir nun feststellen müssen. Es gab ihn nach wie vor.«
Sir James nickte. »Und für welche Seite wäre er Ihrer Meinung nach später tätig gewesen?«
»Da fehlt uns die Kenntnis. Wie gesagt, er trat in der Szene nicht mehr auf.«
»Wie kommt es, daß Sie so gut über ihn informiert sind?« wollte ich wissen.
Roberts warf mir einen bösen Blick zu und gab mir eine ausweichende Antwort. »Wir haben unsere Quellen.«
Damit wollte ich mich nicht zufrieden geben. »Oder arbeitete er als Doppelagent?«
Roberts bewegte seinen Mund. Er überlegte, schließlich gab er die Antwort. »Hin und wieder tat er uns einen Gefallen, aber das soll nicht Ihr Problem sein«, fuhr er mit scharfer Stimme fort. »Wir möchten natürlich alle, daß dieser Fall gelöst wird. Cornell Degen war ein guter Mitarbeiter. Ein Mann, der nicht einfach alles hinwirft und dann verschwindet. Das kommt nicht in Frage, das kann ich nicht akzeptieren. Mit ihm muß etwas geschehen sein, und Sie, Mr. Sinclair, gehören ja zu den Spezialisten, die einen derartigen Fall aufklären können, habe ich mir sagen lassen. Außerdem waren Sie uns schon öfter behilflich.«
»Worauf ich nicht stolz bin.«
Diese Antwort irritierte den Bürohengst mit den kalten Augen. Er schaute Sir James an, als wollte er sich über mich beschweren, doch der Superintendent lächelte nur, und es war ein Lächeln, das den Knaben vom Geheimdienst zur Vorsicht mahnte. Ich wußte ja, daß Sir James den Diensten auch nicht gerade superfreundlich gegenüberstand. »Nun ja«, sagte Roberts, bevor er sich mit einer steifen Bewegung erhob, »Sie wissen jedenfalls Bescheid und werden sicherlich schon Pläne geschmiedet haben.«
»In der Tat.«
»Wann wird Mr. Sinclair fliegen?«
»Morgen.«
»Gut. Das Zimmer ist gebucht?«
»Auch das haben wir erledigt.«
Roberts schaute den Superintendent an. »Es freut mich, daß Sie so gut mitdenken, zeigt es mir doch, daß sich der Fall bei Ihnen in den besten Händen befindet. Guten Tag.«
Er ging zur Tür und verschwand.
Ich schüttelte mich. »Am liebsten würde ich die Fenster öffnen, um den trockenen Geruch, den Roberts hinterlassen hat, aus dem Zimmer zu
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