Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Harka der Sohn des Haeuptlings

Harka der Sohn des Haeuptlings

Titel: Harka der Sohn des Haeuptlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
Vom Netzwerk:
herein und hielt die Erinnerung daran wach, daß die Häuptlinge auf Jagd ausgezogen waren und daß Hawandschita verkündet hatte, der Bärengeist zürne der Bärenbande. Obgleich das Leben in den Zelten nach außen hin seinen gewohnten Gang zu gehen schien, verbreitete sich unter der Decke dieses zurückhaltenden Wesens eine steigende innere Unruhe wie eine ansteckende Krankheit.
    Um die Mittagszeit des folgenden Tages wurde das Dorf aufgestört. Alter Rabe, der den Bruder Mattotaupas begleitet hatte, sprengte auf einem schweißnassen Pferd herbei. Seine Rufe, die er ausstieß, und das Geräusch des Galopps zogen alle aus den Zelten und vom Bach, vom Dorfplatz und der umgebenden Prärie herbei. Als der Reiter den Rand des Gehölzes erreichte und absprang, verhießen seine Mienen nichts Gutes.
    »Gefiederter Pfeil ist tot«, schrie er. »Zerfleischt von dem furchtbaren Bären! Wehe, wehe!«
    Die Zuhörer blieben zunächst regungslos, als habe die Nachricht sie gelähmt.
    Als erster trat dann Fremde Muschel, der großgewachsene Afrikaner aus der Menge hervor. »Wie ist das geschehen? Sprich!«
    Der Krieger sah sich um. »Wo ist Hawandschita?«
    »Im Zauberzelt«, erwiderte Fremde Muschel.
    »Ihn will ich zuerst sprechen!«
    Tschetan nahm den Wunsch auf und ging, um Hawand- schita zu verständigen. Nach kurzer Zeit kehrte er zurück. »Der Geheimnismann will niemand anhören«, teilte er mit. »Der Bärengeist zürnt, sagt er.«
    Die Zuhörer waren von neuem erschreckt und entschlußlos. Auch Harka konnte sich der lähmenden Stimmung nicht entziehen.
    Endlich raffte sich Fremde Muschel wieder auf. »Wo ist dein Gefährte?« fragte er den Alten Raben.
    »Er hat die Reste des Getöteten in seine Decke gewickelt und kehrt auf dem gleichen Weg wie ich, nur langsamer zurück.«
    »So reiten wir ihm entgegen!«
    »Hau, reiten wir ihm entgegen!«
    Alle anwesenden Männer, Burschen und Jungen rannten zu ihren Pferden, machten sie los und galoppierten dann in langer Reihe, einer hinter dem anderen hinter dem Alten Raben her, der sich ein anderes, frisches Pferd genommen hatte. Es dauerte nicht allzu lange, bis sie auf den jungen Krieger Antilopensohn trafen, der den Toten auf seinem Pferd mit sich führte. Ein allgemeines Klagegeschrei und Racherufe gegen den unersättlichen Bären empfingen ihn. Die Männer, Burschen und Jungen auf ihren Pferden bildeten einen Kreis, und mit lauter Stimme berichtete der junge Krieger, der den Toten mit sich führte:
    »Hört, Krieger der Bärenbande vom Stamm der Oglala bei den großen Stämmen der Dakota! Gefiederter Pfeil, Mattotaupas Bruder, ist tot! Das ist so geschehen: Wir waren weit nach Süden geritten, immer in dem Gebiet, in dem wir die große Büffelherde gefunden und gejagt hatten. Ihr wißt, das Fleisch einiger sehr alter Büffel haben wir liegengelassen. Auch Kälber sind zurückgeblieben. Die Raubtiere hatten ihre Mahlzeit. Wir fanden auch Bärenspuren, Spuren großer Tatzen. Ja, das mußte unser Bär sein, der große Graue! Wir waren voll Erregung. Die Spuren waren nur einen halben Tag alt. Aber wir konnten das Tier bis zum einbrechenden Abend nicht entdecken. Da lagerten wir uns auf einem Hügel und machten ein großes Feuer an. Feuer schrecken die Raubtiere ab, und vor den Pani hatten wir keine Angst, denn wir haben nicht eine einzige Spur von ihnen gefunden und nirgends Rauch ihrer Zelte gerochen. Wir beschlossen, uns in der Nachtwache abzuwechseln. Immer einer von uns sollte Wache halten. Um Mitternacht hatte Gefiederter Pfeil die Wache. Wir beide, die ihr hier lebend seht, schliefen um diese Stunde fest. Auf einmal erwachten wir durch einen markerschütternden Schreckensschrei und die Unruhe unserer Pferde. Mein Gefährte blieb bei den Tieren. Ich aber eilte, den Speer in der Hand nach dem Wiesental, aus dem der Schrei erklungen war. Ich brüllte laut. Als ich näher kam, sah ich einen Bären entfliehen. Ich warf den Speer nach ihm, aber ich traf ihn nicht. Ich verschoß meine Pfeile nach ihm, aber ich traf nur den linken Hinter- schenkel. Der Bär entkam mir. Als ich es aufgab, nach ihm zu schießen, sah ich mich nach Gefiedertem Pfeil um. Er lag zerfleischt im Gras. Sicher hatte er als Wache den Bären bemerkt, der sich näherte. Er strebte seinem Traum gemäß nach dem Ruhm, ihn allein zu töten, und weckte uns nicht. Aber nicht er konnte den Bären töten, der Bär tötete ihn!«
    Neue Klagerufe beantworteten diesen Bericht. Dann wendeten alle die Pferde, und der

Weitere Kostenlose Bücher