Harka der Sohn des Haeuptlings
sah diesem Zug mit sehr gemischten Gefühlen entgegen. Er freute sich aus vollem Herzen, daß Tschetan wiederkam. Aber daran, daß Hawandschita nicht im Dorf war, hatte er sich gewöhnt; er hatte den alten Zauberer gar nicht mehr herbeigewünscht. Aber nun kam er wieder. Was würde er zu dem fremden weißen Gast sagen, zu den Bildern und zu der Bärenjagd, zu der nun beide Häuptlinge nach verschiedenen Richtungen aufgebrochen waren?
Als Hawandschita mit Tschetan im Dorf anlangte, kamen zunächst Untschida, Scheschoka und Uinonah herbei, um das Zauberzelt aufzuschlagen. Die fünf Frauen aus dem Tipi von Fremde Muschel schauten aus einiger Entfernung zu. Sie hätten gern mitgeholfen, jedoch war das Aufschlagen des Zauberzeltes das Vorrecht Untschidas, der angesehenen Geheimnisfrau, die die Wunden zu pflegen verstand.
Tschetan versorgte die Pferde mit Harkas Hilfe, badete und salbte sich und versprach dem wißbegierigen Knaben, abends ins Häuptlingszelt zu kommen und zu erzählen. So viel zu erzählen – wie er erzählen durfte!
Fremde Muschel wurde zu Hawandschita gerufen, sobald dessen Zelt stand. Von ihm wollte der Zauberer sich wohl über die Vorgänge im Dorf unterrichten lassen.
Nachdem Hawandschita informiert war und sich auch leidlich gestärkt hatte, ging er zwischen den Zelten, bei den Pferden und im Gehölz umher. Er hielt auf der Prärie Ausschau, besuchte das Zelt von Fremde Muschel und ließ sich dort – wie Harka von Kraushaar erfuhr – das zerschossene Bärenbild zeigen. Er betrat, von Fremde Muschel begleitet, das Tipi des Häuptlings. Harka konnte sich leicht vorstellen, was er dort suchte. Hawandschita wollte den weißhäutigen Zauberer kennenlernen. Diese Begegnung hätte Harka gern miterlebt. Da dies nicht möglich war, beschloß er, sich später bei Uinonah Auskunft zu holen, wie das Zusammentreffen verlaufen sei.
Gegen Abend zog sich der Alte in sein Zauberzelt zurück. Die Männer hatten Anweisung von ihm erhalten, große Feuer im Freien anzufachen und den Bärentanz abermals zu tanzen, da der Bärengeist schwer erzürnt sei. So erklang von neuem das heisere Brummen und Knurren, und die Männer in den Bärenfellen tappten um die flackernden Feuer, die mit ihrem Schein das Zeltlager und den Rand des Gehölzes erhellten.
Harka hatte einige Zeit zugesehen, dann ging er ins Zelt, wo er Tschetan und Weitfliegender Vogel antraf.
Zunächst berichtete der Knabe dem älteren Freund, was der weiße Mann über einen Vertrag der Oberhäuptlinge der Dakota mit dem Großen Vater in Washington mitgeteilt hatte. Hatte Tschetan davon etwas erfahren?
Tschetan stimmte eifrig zu. Über einen solchen Vertrag hatte Hawandschita mit den großen Zaubermännern der Dakota gesprochen, auch mit dem einflußreichen Zaubermann und Häuptling der Dakotastämme Tatanka- yotanka. Da die Lage im südlichen Grenzgebiet des Dakotalandes, wo die Bärenbande ihre Zelte aufgeschlagen hatte, so gefahrenreich und geheimnisvoll geworden war, hatte Tatanka-yotanka sogar versprochen, die Zelte der Bärenbande zu besuchen und sich selbst ein Urteil zu verschaffen. Die Aussicht auf einen so be- deutenden Gast freute und beruhigte Harka und Tschetan sehr.
»Was aber denkt Tatanka-yotanka über die Geheimnisse der weißen Männer?« fragte Harka. »Sollen wir uns von ihnen fernhalten, oder sollen wir in die Geheimnisse eindringen, um sie selbst zu gebrauchen?«
»Die Mazzawaken sollen wir uns verschaffen, über die Zauberkörner aus Gold aber sollen wir schweigen.«
»Gut!« Mit dieser Auskunft war Harka zufrieden. Nun war der Vater gerechtfertigt, der das Goldkorn ins Wasser geworfen hatte, und zugleich war Harkas Wunsch, ein Mazzawaken zu besitzen, als berechtigt anerkannt. Sicher war Tatanka-yotanka ein guter und großer und weiser Zaubermann. Nur ein Rätsel hatte auch er noch nicht gelöst: Wie die roten Männer sich Mazzawaken verschaffen sollten, wenn sie ihr Gold geheimhalten mußten und also nicht zum Tausch geben durften. So viele Felle wie zum Tausch für ein Mazzawaken erforderlich waren, besaß ein roter Mann doch gar nicht. Die Felle aus seiner Jagdbeute brauchte er selbst für Zelt, Kleidung und Decken. Einige, ja, einige konnte man auch für den Tausch erübrigen. Aber so viele? Dann mußten ganze Büffelherden hingeschlachtet werden. Konnte das gut sein? Die Fragen nahmen kein Ende. War eine gelöst, tauchte schon die nächste auf.
Vom Dorfplatz her klang das Brummen und Knurren der Bärentänzer in das Zelt
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