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Harka der Sohn des Haeuptlings

Harka der Sohn des Haeuptlings

Titel: Harka der Sohn des Haeuptlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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traurige Zug ging zu den Zelten zurück. Wieder erschallte bei den Tipi der Bärenbande die Nacht hindurch die Totenklage. Hawandschita aber kam nicht aus seinem Zelt heraus.
    Die Krieger begaben sich auf die Kuppe des Sandhügels, der die beste Aussicht bot. Sie hatten die Signaltrommel bei sich und trommelten Stunde um Stunde, um den Häuptling Mattotaupa zu den Zelten zurückzurufen.
    Einen Tag später kehrte er endlich heim.
    Harka, Harpstennah und Kraushaar, die vom Morgengrauen bis zum Abend ausspähten, entdeckten die Heimkehrenden ebenso schnell wie die Krieger. Sie stürzten zu ihren Pferden, sprangen auf und galoppierten dem Häuptling und seinen Begleitern entgegen. Harka führte auf seinem Büffelpferd, Harpstennah folgte auf dem Schecken, den Beschluß der Reiter machte Kraushaar. Harka, weit voran, erreichte als erster den Vater und seine Schar.
    »Hi-je-he! Hi-je-he!« schrien die Jungen als Begrüßungsruf. Der Häuptling war unversehrt. Stolz, strahlend saß er auf seinem Pferd, über dessen Kruppe zwei Braunbärfelle und drei Hermelinfelle hingen. Er hatte gute Beute gemacht, wenn es ihm auch nicht geglückt war, einen Grizzly aufzuspüren. Auch seine Begleiter, Langspeer, Alte Antilope und der vierte Krieger, waren nicht leer ausgegangen. Langspeer war es gelungen, einen Adler abzuschießen, dessen Schwanzfedern er Mattotaupa als Dank für seine Gastfreundschaft schenken wollte.
    So wandelte sich der Kummer der Jungen zu Freude und Zuversicht. Mattotaupa, der große Jäger, kehrte glücklich mit seiner Schar heim.
    Die Nachricht verbreitete sich mit Windeseile bei allen Zelten; alles, was laufen konnte, kam hervor, um den Häuptling zu sehen und zu begrüßen. Nur Hawandschita blieb auch jetzt noch in seinem Zauberzelt verborgen.
    Mattotaupa hatte schon im Heranreiten den Toten auf einer der südlich des Dorfes sich hinziehenden Bodenwellen gesehen, den in die Lederdecke eingeschnürten Toten, der die Erde nicht mehr berühren durfte. Als er bei den Zelten ankam, fragte er die, die ihn empfangen hatten, wer der Tote sei. Er erfuhr, daß der Bär, den er nicht gefunden hatte, seinen Bruder getötet hatte.
    Fast eine Minute lang herrschte vollständige Stille. Die Freude war aus dem Antlitz des Häuptlings gewichen, und tiefe Trauer stand jetzt darauf geschrieben. Langsam, im Schritt trieb er sein Tier zu der Anhöhe hinauf. Dort hielt er, und neben ihm hielt Harka, von der ganzen begleitenden Schar dem Vater am nächsten. Der Himmel breitete sich in verblassendem Blau über die Prärie, der Wind wehte steif und fuhr Menschen und Pferden in die Haare. Die Sonnenstrahlen drangen von dem sinkenden Glutball ausgehend noch über das ganze Land bis zum fernen östlichen Horizont. Wie ein Herrscher in seinem Reich, so hielt der große Jäger auf seinem Pferd, von der Anhöhe die unendlichen Wiesen, Bäche und Hügelwellen überschauend.
    »Bruder!« sprach er feierlich. »Der große Graue hat dich getötet, aber meine Hand wird dich rächen! Diese meine Hand wird dich rächen, und dieses mein Messer« – Mattotaupa hob die lange spitze Klinge in die Höhe –, »dieses Messer soll den großen Grauen ins Herz treffen, damit du gerächt bist, mein Bruder! Niemand anders soll sich in Gefahr begeben, niemand außer dem Zelt Mattotaupas! Ich habe gesprochen, hau!« Nach diesem letzten Wort, das so gut wie ein Schwur galt, schwiegen die Männer lange. Mattotaupa schaute nach der To- tenstätte und der Prärie. Alle wußten, daß sein Entschluß unabänderlich war. Langsam, wie die Schar gekommen war, ritt sie auch mit dem Häuptling wieder den Hügel hinab und zu den Zelten zurück. Mattotaupa begab sich in sein Tipi, begleitet von Langspeer.
    Die Mahlzeit wurde von den Frauen am Feuer bereitet, die Pfeifen und Zigarren wurden geraucht. Das Gespräch wollte nicht in Gang kommen. Nur mit ein paar hingeworfenen Fetzen verständigten sich Mattotaupa und seine Gäste über alles, was geschehen war.
    Als es Zeit zum Schlafen schien, rief Mattotaupa noch Harka heran.
    »Harka Steinhart Nachtauge Wolfstöter! Hör mich an! Du brauchst meinen Worten, die ich jetzt zu dir sprechen werde, nicht zu folgen. Was ich dir sage, mußt du selbst erwägen, und du magst dann frei deine Antwort sagen! Sobald der Morgen graut, ziehe ich gegen diesen Bären aus, der meinen Bruder zerfleischt hat. Mit diesem Messer in der Hand will ich ihn töten! Niemand, der nicht dem Zelt Mattotaupas angehört, soll an dieser Rache teilnehmen. Nun

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