Harry Potter und der Orden des Phönix
über die ganze Gasse geworfen, der ihnen jegliche Sicht nahm.
Für den Bruchteil einer Sekunde dachte Harry, er hätte versehentlich gezaubert, obwohl er das Verlangen mit aller Kraft unterdrückt hatte – dann zog sein Verstand mit seinen Sinnen gleich – er hatte nicht die Macht, die Sterne zum Erlöschen zu bringen. Er drehte den Kopf hin und her und versuchte, etwas zu erkennen, doch die Dunkelheit drückte auf seine Augen wie ein schwereloser Schleier.
Dudleys angsterfüllte Stimme drang in Harrys Ohr.
»W-was machst du d-da? Hö-hör auf d-damit!«
»Ich mach gar nichts! Sei still und beweg dich nicht!«
»Ich k-kann nichts sehen! Ich b-bin blind! Ich –«
»Still, hab ich gesagt!«
Harry stand stocksteif da und wandte seine blinden Augen nach links und nach rechts. Die Kälte war so heftig, dass er am ganzen Leib zitterte; eine Gänsehaut kroch ihm über die Arme, und seine Nackenhaare sträubten sich – er riss die Augen auf, so weit er konnte, und starrte leer und blind umher.
Es war unmöglich … sie konnten nicht hier sein … nicht in Little Whinging … er lauschte angestrengt … er würde sie hören, bevor er sie sah …
»Ich s-sag’s Dad!«, wimmerte Dudley. »W-wo bist du? Was machst d-du da –?«
»Hältst du endlich die Klappe?«, zischte Harry. »Ich versuch was zu hö–«
Doch er verstummte. Er hatte genau das gehört, wovor es ihn gegraust hatte.
Außer ihnen war da noch etwas in dieser Gasse, etwas, das lange, heisere, rasselnde Atemzüge tat. Harry, der zitternd in der eisigen Luft stand, spürte, wie ihn eine grauenhafte Angst durchfuhr.
»L-lass das sein! H-hör auf damit! Ich h-hau dich, ich schwör’s!«
»Dudley, halt die –«
WUMM .
Eine Faust traf Harry seitlich am Kopf und riss ihn von den Füßen. Kleine weiße Lichter tauchten vor seinen Augen auf. Zum zweiten Mal in einer Stunde hatte Harry das Gefühl, sein Kopf wäre mittendurch gespalten; im nächsten Moment schlug er hart auf dem Boden auf und der Zauberstab flog ihm aus der Hand.
»Du Schwachkopf, Dudley!«, schrie Harry. Tränen schossen ihm in die Augen vor Schmerz, während er sich auf Hände und Knie hochrappelte und hektisch in der schwarzen Dunkelheit umhertastete. Er hörte Dudley davonstolpern, gegen den Zaun stoßen, taumeln.
» DUDLEY, KOMM ZURÜCK! DU LÄUFST GENAU DRAUF ZU !«
Ein fürchterlicher, quietschender Schrei war zu hören und Dudleys Schritte hielten inne. Im selben Moment spürte Harry eine kriechende Kälte hinter sich, die nur eines bedeuten konnte. Da war mehr als einer.
» DUDLEY, MACH NICHT DEN MUND AUF! WAS IMMER DU TUST, MACH NICHT DEN MUND AUF ! Zauberstab!«, murmelte Harry hektisch, seine Hände huschten über den Boden wie Spinnen. »Wo ist – Zauberstab – komm schon – lumos!«
Er sprach das Zauberwort unwillkürlich aus, so verzweifelt brauchte er Licht, das ihm bei der Suche half – und zu seiner ungläubigen Erleichterung flammte nicht weit von seiner rechten Hand entfernt Licht auf – die Spitze des Zauberstabs leuchtete. Harry klaubte ihn auf, rappelte sich hoch und blickte hinter sich.
Ihm drehte sich der Magen um.
Eine mächtige Gestalt, in einen Kapuzenumhang gehüllt, unter dem weder Füße noch Gesicht zu erkennen waren, glitt sanft über den Boden schwebend auf ihn zu und sog die Nacht in sich ein.
Harry stolperte zurück und hob den Zauberstab.
»Expecto patronum!«
Ein silbriger Dunstfaden schoss aus der Spitze des Zauberstabs, und der Dementor wurde langsamer, doch der Zauber hatte nicht richtig gewirkt. Der Dementor neigte sich zu Harry hinunter, und Harry wich, über seine eigenen Füße strauchelnd, weiter zurück, während Panik ihm das Gehirn vernebelte – konzentrier dich –
Ein graues, schleimiges, schorfiges Paar Hände glitt aus dem Umhang des Dementors hervor und langte nach ihm. Ein Rauschen erfüllte Harrys Ohren.
»Expecto patronum!«
Seine Stimme klang matt und fern. Wieder schwebte ein Faden silbrigen Rauchs, schwächer als der letzte, aus dem Zauberstab – er konnte es nicht mehr, der Zauber gelang ihm nicht.
In seinem Kopf erklang ein Lachen, ein schrilles, überdrehtes Lachen … er konnte den widerlichen, todeskalten Atem des Dementors riechen, der seine Lungen füllte, ihn ertränkte – denken … an etwas Glückliches …
Doch es war kein Glück in ihm … die eisigen Finger des Dementors schlossen sich um seine Kehle – das schrille Lachen wurde immer lauter, eine Stimme sprach in seinem Kopf: »Verneige
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