Hauffs Maerchen - Gesamtausgabe
keiner sich heranzunahen wagte; endlich hielt einer an, legte einen Pfeil auf, zielte und wollte eben die Sehne schnellen lassen, als ihm ein anderer winkte. Der junge Mann machte sich auf einen neuen Angriff gefaßt, aber ehe er sich dessen versah, hatte ihm einer der Araber eine Schlinge über den Kopf geworfen, und so sehr er sich bemühte, das Seil zu zerreißen, so war doch alles umsonst, die Schlinge wurde fester und immer fester angezogen, und Said war gefangen.
Die Karawane war endlich entweder ganz aufgerieben oder gefangen worden, und die Araber, welche nicht zu einem Stamm gehörten, teilten jetzt die Gefangenen und die übrige Beute und zogen dann, der eine Teil nach Süden, der andere nach Osten. Neben Said ritten vier Bewaffnete, welche ihn oft mit bitterem Grimm anschauten und Verwünschungen über ihn ausstießen; er merkte, daß es ein vornehmer Mann, vielleicht sogar ein Prinz gewesen sei, welchen er getötet hatte. Die Sklaverei, welcher er entgegensah, war noch härter als der Tod, darum wünschte er sich im stillen Glück, den Grimm der ganzen Horde auf sich gezogen zu haben, denn er glaubte nicht anders, als in ihrem Lager getötet zu werden. Die Bewaffneten bewachten alle seine Bewegungen, und so oft er sich umschaute, drohten sie ihm mit ihren Spießen; einmal aber, als das Pferd des einen strauchelte, wandte er den Kopf schnell um und erblickte zu seiner Freude den Alten, seinen Reisegefährten, welchen er unter den Toten geglaubt hatte.
Endlich sah man in der Ferne Bäume und Zelte, als sie näher kamen, strömte ihnen ein ganzer Schwall von Kindern und Weibern entgegen, aber kaum hatten diese einige Worte mit den Räubern gewechselt, als sie in ein schreckliches Geheul ausbrachen und alle zu Said hinblickten, die Arme gegen ihn aufhoben und Verwünschungen ausstießen. “Jener ist es”, schrien sie, “der den großen Almansor erschlagen hat, den tapfersten aller Männer; er muß sterben, wir wollen sein Fleisch dem Schakal der Wüste zur Beute geben.” Dann drangen sie mit Holzstücken, Erdschollen und was sie zur Hand hatten, so furchtbar auf Said ein, daß sich die Räuber selbst ins Mittel legen mußten; “hinweg, ihr Unmündigen, fort, ihr Weiber”, riefen sie und trieben die Menge mit den Lanzen auseinander, “er hat den großen Almansor erschlagen im Gefecht, und er muß sterben, aber nicht von der Hand eines Weibes, sondern vom Schwert der Tapfern”.
Als sie unter den Zelten auf einem freien Platz angelangt waren, machten sie Halt; die Gefangenen wurden je zwei und zwei zusammengebunden, die Beute in die Zelten gebracht, Said aber wurde einzeln gefesselt und in ein großes Zelt geführt. Dort saß ein alter, prachtvoll gekleideter Mann, dessen ernste, stolze Miene verkündete, daß er das Oberhaupt dieser Horde sei. Die Männer, welche Said führten, traten traurig und mit gesenktem Haupt vor ihn hin; “das Geheul der Weiber sagt mir, was geschehen ist”, sprach der majestätische Mann, indem er die Räuber der Reihe nach anblickte, “eure Mienen bestätigen es - Almansor ist gefallen.”
“Almansor ist gefallen”, antworteten die Männer, “aber hier, Selim, Beherrscher der Wüste, ist sein Mörder, und wir bringen ihn, damit du ihn richtest; welche Todesart soll er sterben? Sollen wir ihn aus der Ferne mit Pfeilen erschießen, sollen wir ihn durch eine Gasse von Lanzen jagen, oder willst du, daß er an einem Strick aufgehängt oder von Pferden zerrissen werde?”
“Wer bist du?” fragte Selim, düster auf den Gefangenen blickend, der zum Tode bereit, aber mutig vor ihm stand.
Said beantwortete seine Frage kurz und offen.
“Hast du meinen Sohn meuchlings umgebracht? Hast du ihn von hinten mit einem Pfeil oder einer Lanze durchbohrt?”
“Nein, Herr!” entgegnete Said; “ich habe ihn in offenem Kampf beim Angriff auf unsere Reihen von vorne getötet, weil er schon acht meiner Genossen vor meinen Augen erschlagen hatte.”
“Ist es also, wie er sprach?” fragte Selim die Männer, die ihn gefangen hatten.
“Ja, Herr, er hat Almansor in offenem Kampf getötet”, sprach einer von den Gefragten.
“Dann hat er nicht mehr und nicht minder getan, als wir selbst getan haben würden”, versetzte Selim, “er hat seinen Feind, der ihm Freiheit und Leben rauben wollte, bekämpft und erschlagen; drum löset schnell seine Bande!”
Die Männer sahen ihn staunend an und gingen nur zaudernd und mit Widerwillen ans Werk. “So soll der Mörder deines Sohnes, des
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