Hauffs Maerchen - Gesamtausgabe
Arbeit, mußte er sich zu uns setzen auf den Grasboden vor dem Hause, und da baten wir so lange, bis er zu erzählen anfing, und das ging fort und fort, bis die Nacht heraufkam.”
“Und erschloß sich uns”, entgegnete der Schreiber, “erschloß sich uns da nicht ein neues, niegekanntes Reich, das Land der Genien und Feen, bebaut mit allen Wundern der Pflanzenwelt, mit reichen Palästen von Smaragden und Rubinen, mit riesenhaften Sklaven bevölkert, die erschienen, wenn man einen Ring hin und wider dreht oder die Wunderlampe reibt oder das Wort Salomos ausspricht, und in goldenen Schalen herrliche Speisen bringen. Wir fühlten uns unwillkürlich in jenes Land versetzt, wir machten mit Sindbad seine wunderbaren Fahrten, wir gingen mit Harun Al Raschid, dem weisen Beherrscher der Gläubigen, abends spazieren, wir kannten Giaffar, seinen Vezier, so gut als uns selbst, kurz, wir lebten in jenen Geschichten, wie man nachts in Träumen lebt, und es gab keine schönere Tageszeit für uns, als den Abend, wo wir uns einfanden auf dem Rasenplatz und der alte Sklave uns erzählte. Aber sage uns, Alter, worin liegt es denn eigentlich, daß wir damals so gerne erzählen hörten, daß es noch jetzt für uns keine angenehmere Unterhaltung gibt?”
Die Bewegung, die im Zimmer entstand, und die Aufforderung zur Aufmerksamkeit, die der Sklavenaufseher gab, verhinderte den Alten, zu antworten. Die jungen Leute wußten nicht, ob sie sich freuen sollten, daß sie eine neue Geschichte anhören durften, oder ungehalten sein darüber, daß ihr anziehendes Gespräch mit dem Alten unterbrochen worden war; aber ein zweiter Sklave erhob sich bereits und begann:
Abner, der Jude, der nichts gesehen hat
Herr! Ich bin aus Mogador, am Strande des großen Meeres, und als der großmächtigste Kaiser Muley Ismael über Fetz und Marokko herrschte, hat sich die Geschichte zugetragen, die du vielleicht nicht ungerne hören wirst. Es ist die “Geschichte von Abner, dem Juden, der nichts gesehen hat”.
Juden, wie du weißt, gibt es überall, und sie sind überall Juden: pfiffig, mit Falkenaugen für den kleinsten Vorteil begabt, verschlagen, desto verschlagener, je mehr sie mißhandelt werden, ihrer Verschlagenheit sich bewußt und sich etwas darauf einbildend. Daß aber doch zuweilen ein Jude durch seine Pfiffe zu Schaden kommt, bewies Abner, als er eines Abends zum Tore von Marokko hinaus spazieren ging.
Er schreitet einher, mit der spitzen Mütze auf dem Kopf, in den bescheidenen, nicht übermäßig reinlichen Mantel gehüllt, nimmt von Zeit zu Zeit eine verstohlene Prise aus der goldenen Dose, die er nicht gerne sehen läßt, streichelt sich den Knebelbart, und trotz der umherrollenden Augen, welche ewige Furcht und Besorgnis und die Begierde, etwas zu erspähen, womit etwas zu machen wäre, keinen Augenblick ruhen läßt, leuchtet Zufriedenheit aus seiner beweglichen Miene; er muß diesen Tag gute Geschäfte gemacht haben, und so ist es auch. Er ist Arzt, ist Kaufmann, ist alles, was Geld einträgt; er hat heute einen Sklaven mit einem heimlichen Fehler verkauft, wohlfeil eine Kamelladung Gummi gekauft und einem reichen kranken Mann den letzten Trank, nicht vor seiner Genesung, sondern vor seinem Hintritt bereitet.
Eben war er auf seinem Spaziergang aus einem kleinen Gehölz von Palmen und Datteln getreten, da hörte er lautes Geschrei herbeilaufender Menschen hinter sich; es war ein Haufe kaiserlicher Stallknechte, den Oberstallmeister an der Spitze, die nach allen Seiten unruhige Blicke umherwarfen, wie Menschen, die etwas Verlorenes eifrig suchen.
“Philister”, rief ihm keuchend der Oberstallmeister zu, “hast du nicht ein kaiserlich Pferd mit Sattel und Zeug vorüberrennen sehen?”
Abner antwortete: “Der beste Galoppläufer, den es gibt; zierlich klein ist sein Huf, seine Hufeisen sind von vierzehnlötigem Silber, sein Haar leuchtet golden, gleich dem großen Sabbatleuchter in der Schule, fünfzehn Fäuste ist er hoch, sein Schweif ist dreiundeinenhalben Fuß lang, und die Stangen seines Gebisses sind von dreiundzwanzigkarätigem Golde.”
“Er ist?s!” rief der Oberstallmeister. “Er ist?s!” rief der Chor der Stallknechte. “Es ist der Emir”, rief ein alter Bereuter, “ich habe es dem Prinzen Abdallah zehnmal gesagt, er solle den Emir in der Trense reiten, ich kenne den Emir, ich habe es vorausgesagt, daß er ihn abwerfen würde, und sollte ich seine Rückenschmerzen mit dem Kopfe bezahlen müssen, ich habe es
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