Hauffs Maerchen - Gesamtausgabe
will dich zu deinem Vater bringen; er, der so erfahren ist in jedem Zauber, wird dich leicht entzaubern können!” Die Gans vergoß Freudentränen und nahm sein Anerbieten an. Jakob kam glücklich und unerkannt mit der Gans aus dem Palast und machte sich auf den Weg nach dem Meeresstrand, Mimis Heimat zu.
Was soll ich noch weiter erzählen, daß sie ihre Reise glücklich vollendeten, daß Wetterbock seine Tochter entzauberte und den Jakob mit Geschenken beladen entließ, daß er in seine Vaterstadt zurückkam und daß seine Eltern in dem schönen jungen Mann mit Vergnügen ihren verlorenen Sohn erkannten, daß er von den Geschenken, die er von Wetterbock mitbrachte, sich einen Laden kaufte und reich und glücklich wurde?
Nur so viel will ich noch sagen, daß nach seiner Entfernung aus dem Palast des Herzogs große Unruhe entstand; denn als am andern Tage der Herzog seinen Schwur erfüllen und dem Zwerg, wenn er die Kräuter nicht gefunden hätte, den Kopf abschlagen lassen wollte, war er nirgends zu finden; der Fürst aber behauptete, der Herzog habe ihn heimlich entkommen lassen, um sich nicht seines besten Kochs zu berauben, und klagte ihn an, daß er wortbrüchig sei. Dadurch entstand denn ein großer Krieg zwischen beiden Fürsten, der in der Geschichte unter dem Namen “Kräuterkrieg” wohlbekannt ist; es wurde manche Schlacht geschlagen, aber am Ende doch Friede gemacht, und diesen Frieden nennt man bei uns den “Pastetenfrieden”, weil beim Versöhnungsfest durch den Koch des Fürsten die Souzeraine, die Königin der Pasteten, zubereitet wurde, welche sich der Herr Herzog trefflich schmecken ließ.
So führen oft die kleinsten Ursachen zu großen Folgen; und dies, o Herr, ist die Geschichte des Zwerges Nase.
II
So erzählte der Sklave aus Frankistan; nachdem er geendet hatte, ließ der Scheik Ali Banu ihm und den andern Sklaven Früchte reichen, sich zu erfrischen, und unterhielt sich, während sie aßen, mit seinen Freunden. Die jungen Männer aber, die der Alte eingeführt hatte, waren voll Lobes über den Scheik, sein Haus und alle seine Einrichtungen. “Wahrlich”, sprach der junge Schreiber, “es gibt keinen angenehmern Zeitvertreib, als Geschichten anzuhören. Ich könnte tagelang so hinsitzen, die Beine untergeschlagen, einen Arm aufs Kissen gestützt, die Stirne in die Hand gelegt, und, wenn es ginge, des Scheiks große Wasserpfeife in der Hand und Geschichten anhören - so ungefähr stelle ich mir das Leben vor in den Gärten Mahomeds.”
“Solange Ihr jung seid und arbeiten könnt”, sprach der Alte, “kann ein solcher träger Wunsch nicht Euer Ernst sein. Aber das gebe ich Euch zu, daß ein eigener Reiz darin liegt, etwas erzählen zu hören. So alt ich bin, und ich gehe nun ins siebenundsiebenzigste Jahr, so viel ich in meinem Leben schon gehört habe, so verschmähe ich es doch nicht, wenn an der Ecke ein Geschichtserzähler sitzt und um ihn in großem Kreis die Zuhörer, mich ebenfalls hinzuzusetzen und zuzuhören. Man träumt sich ja in die Begebenheiten hinein, die erzählt werden, man lebt mit diesen Menschen, mit diesen wundervollen Geistern, mit Feen und dergleichen Leuten, die uns nicht alle Tage begegnen, und hat nachher, wenn man einsam ist, Stoff, sich alles zu wiederholen wie der Wanderer, der sich gut versehen hat, wenn er durch die Wüste reist.”
“Ich habe nie so darüber nachgedacht”, erwiderte ein anderer der jungen Leute, “worin der Reiz solcher Geschichten eigentlich liegt. Aber mir geht es wie Euch. Schon als Kind konnte man mich, wenn ich ungeduldig war, durch eine Geschichte zum Schweigen bringen. Es war mir anfangs gleichgültig, von was es handelte, wenn es nur erzählt war, wenn nur etwas geschah; wie oft habe ich, ohne zu ermüden, jene Fabeln angehört, die weise Männer erfunden, und in welche sie einen Kern ihrer Weisheit gelegt haben, vom Fuchs und vom törichten Raben, vom Fuchs und vom Wolf, viele Dutzend Geschichten vom Löwen und den übrigen Tieren. Als ich älter wurde und mehr unter die Menschen kam, genügten mir jene kurzen Geschichten nicht mehr; sie mußten schon länger sein, mußten von Menschen und ihren wunderbaren Schicksalen handeln.”
“Ja, ich entsinne mich noch wohl dieser Zeit”, unterbrach ihn einer seiner Freunde. “Du warst es, der uns diesen Drang nach Erzählungen aller Art beibrachte. Einer eurer Sklaven wußte so viel zu erzählen, als ein Kameltreiber von Mekka nach Medina spricht; wann er fertig war mit seiner
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