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Marathon

Marathon

Titel: Marathon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Frangenberg
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1
    Ein galoppierendes
Pferd. Das sah toll aus. Wunderbar. Eine wunderbare rote Rose. Das
Rot zerlief und malte immer neue Muster ins Wasser. Rote
Wasserpflanzen. Jeder Tropfen ein neues Zufallsprodukt, bis sie
irgendwann begannen, ineinander zu verlaufen, sich magisch zu
verbinden, um gemeinsam wieder neue Gebilde zu formen. Blutpferd,
Zufallsrose.
    Hatte er sich irgendwo
gestoßen, oder war ihm vor Aufregung einfach ein
Äderchen im Gesicht geplatzt? Er erinnerte sich nicht. Er
konnte noch nicht einmal sagen, ob es sein Blut war, das ihm da aus
dem Gesicht ins Wasser tropfte. Er hatte den Abfluss geschlossen,
damit das Wasser nicht ablaufen konnte. Jeder Tropfen Blut
ließ in dem schicken Designerwaschbecken ein neues
Gemälde entstehen.
    Wenn er als Kind mit
seinen Eltern am Esstisch an Silvester auf das neue Jahr wartete,
wurden Bleifiguren gegossen, um die Zukunft vorauszusagen.
Neujahrslügen. Das giftige Blei war auf einem Löffel
erhitzt und, nachdem es zerflossen war, in kaltes Wasser geworfen
worden. Dort verformte es sich zu irgendwelchen Figuren, zu denen
man dann in kleinen Begleitheftchen passende Interpretationen
suchte.
    Ein galoppierendes
Pferd hätte sicherlich ein kraftvolles, starkes, neues Jahr
voller Vorsätze und Tatendrang bedeutet. Ein großes
Ziel, das man sich gesetzt hatte, sollte erreichbar sein. Jetzt
blutete das Pferd am ganzen Körper.
    Das beste Blut ist vom
Mond, das schlechteste von irgendeinem Tier, schoss es ihm durch
den Kopf. Man soll das Blut mischen, brennen, daraus Kuchen machen,
es mit Lobgesängen bedecken. Es wirkte fast komisch, was ihm
hier in diesem Badezimmer einfiel. Dabei war es doch so ernst
gemeint. »Deine Feinde werden vor dir fallen«, hatte er
schon vor langer Zeit gerufen. Immer wieder, immer lauter. Blut
für die Erlösung, ein Opfer für die Zukunft.
Hirnmist.
    »Lächerlich«,
sagte er mit fester Stimme und fuhr mit seiner rechten Hand durch
das Becken. Die Blutung ließ nach. Er öffnete den
Abfluss und wischte dem ablaufenden Wasser mit der Handfläche
nach. Mit einem Stück Klopapier trocknete er Hände und
Becken. Während er sich die Handschuhe wieder anzog, schaute
er in den Spiegel über dem Waschbecken.
    Er sah ein Gesicht,
von dem er geglaubt hatte, dass es erst in zehn, fünfzehn
Jahren einmal etwas mit ihm zu tun haben könnte. Ein
hässliches Gesicht. Fettige, dunkelblonde Haarsträhnen
klebten auf seiner schweißnassen Stirn und den kleinen kahlen
Stellen, die sich links und rechts am Haaransatz breit machten. Er
fand sich widerlich. Es war nicht nur die Blässe, die
abstoßend wirkte. Die ganze Physiognomie stimmte nicht mehr.
Sein Gesicht war aufgedunsen, unnatürlich rund. Die Wangen
hingen schlaff unter zwei Tränensäcken, dazwischen ein
verkniffener Mund und eine viel zu große Nase, unter der Blut
antrocknete. Sie bildete den Mittelpunkt eines Kopfes, der sich zu
einer Kugel verformt zu haben schien. Sein Kinn schien ihm so
gemästet, dass man den Hals kaum noch sehen konnte. Er atmete
tief durch.
    »Die Welt ist
nicht so, wie man glaubte«, sprach er zu seinem Spiegelbild.
»Mein Gesicht ist ein Irrtum. Alles ist ein Irrtum. Irrer
Irrsinn. Und weil man sich vertan hat, immer nur vertan hat, wird
man ohne Mühe ein Mistkerl.«
    Er sah furchtbar
müde aus, lebensmüde. Er fuhr sich mit den Händen
durch das strähnige Haar. Unterm Waschbecken fand er einen
Lappen, mit dem er ein weiteres Mal das Becken durchwischte und die
Armaturen abputzte. Nachdem er das Klopapier mit der
Toilettenspülung in der Kanalisation versenkt hatte,
vergewisserte er sich noch einmal, dass er nichts mit den blanken
Händen angefasst hatte, was er noch nicht abgewischt hatte. Er
steckte sich ein Stückchen Klopapier in die Nase. Es war sein
Blut, das ihm im Beckenwasser die Zukunft vorausgesagt hatte. Eine
große, aber kurze Zukunft.
    Er rückte ein
Fläschchen mit Parfüm und das Aftershave auf der Ablage über
dem Waschbecken zurecht. Der große Spiegel war extra für
die Maße des eigentlich zu kleinen Badezimmers angefertigt
worden. So wirkte der Raum großzügig und elegant. Alles
stand an seinem Platz, wie in einem Musterhaus. Alles
Maßarbeit hier.
    Er ging zurück
ins Wohnzimmer. Achtlos schlenderte er an den Regalen vorbei. Viele
Bücher, kluge Bücher standen hier im Buchenholz.
Angeberregale. Wie waren sie geordnet? Nach Größe, nach
dem Alphabet?
    Vosskamp war ein
Idiot, aber er hat einen tollen Fernseher, dachte er.
Flachbildschirm, Stereo, ganz in

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