Heart beats sex
Briest in ihren bittersten Stunden, doch anders als sie, brauche ich ihn nicht zu trösten, nicht aufzurichten, nicht zu versöhnen. Soll ich mich wie Effi auch an das offene Fenster setzen, bis ich eine akute Lungenentzündung habe und so lange kühle Nachtluft einsaugen, bis das Leben wie ein feines Rieseln von mir abfällt? Um das Gefühl der Befreiung zu haben und Ruhe, endlich Ruhe?
Mein Blick fällt auf eine Ameisenstraße, die zum Nachttisch hinauführt, wo ein angegessener Cookie liegt. Ich beobachte die fleißigen Arbeiterinnen und denke reuevoll daran, wie ich sie vernichtete, als sie durch mein Zimmer zu der toten Fliege pilgerten.
Bevor ich mich abwende, fällt mir das Bild mit der Pumpe ein, die Hal mit dem einarmigen Soldaten verglich, und ich sehe ihn, wie er sich als kleiner Junge abmüht, den Wassereimer zu füllen und höre das Quietschen jedes Mal, wenn er den Schwengel herunterdrückt.
Leise verlasse ich das Zimmer. Ich gehe wieder hinunter und schaue überall nach, ob Zoya noch da ist. Ich finde sie nicht, entdecke nur einen meiner Schuhe auf der Terrasse. Ich stecke den Fuß hinein und humpele zum Haupteingang, wo Hal mich das erste Mal in weißem Hemd und weißer Hose empfangen hatte. Das Bild droht einen Strom von Tränen auszulösen.
Ich versuche mich zu wehren, bleibe stehen und würge. Es dauert Minuten um Minuten, aber ich schaffe es. Ich breche nicht schluchzend vor seinem Haus zusammen. Als ich die Freitreppe langsam hinuntergehe, sehe ich Adrian vor seinem Range Rover stehen. Er sucht nach irgendetwas in den Hosentaschen.
»Na, du«, sage ich zu ihm.
»Hey, Mona, du hinkst ja.«
»Ich habe einen Schuh verloren.«
»Mensch, wie geht’s dir?« Ihm fällt erst jetzt ein, dass ich die Leiche auf der Party war, und er macht ein entschuldigendes Gesicht. »Du bist also wieder unter den Lebenden!«
Plötzlich schießen mir doch die Tränen in die Augen.
Adrian kommt ums Auto herum. »Jetzt verflüssigt sich deine Angst, gelähmt zu bleiben.« Er nimmt mich in die Arme. »Oder sind es Freudentränen, dass du wieder ins Leben zu uns zurückgekommen bist?«
Ich merke, dass ich zittere. Ich wärme mich an ihm wie an einem Heizkörper.
Als wir in seinem Auto sitzen, fragt er: »Wohin willst du?«
»Nach Hause.«
Es ist mir egal, was sie sagen werden, ich erwarte keine Liebeserklärung und keine Danksagung, wenn ich wieder vor ihnen stehe, ich möchte einfach dahin, wo ich lernen kann, mich selbst zu lieben.
ENDE
Das Zitat von Friedrich Nietzsche ist entnommen aus,
Also sprach Zarathustra, Ein Buch für alle und keinen
Kröners Taschenausgabe Band 75, Stuttgart 1975
Originalausgabe 04/2011
Copyright © 2011 by Johanna Driest
Copyright © 2011 dieser Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Redaktion: Eva Philippon
© Nele Schütz Design, München
Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling
eISBN 978-3-641-05460-1
www.heyne.de
www.randomhouse.de
Weitere Kostenlose Bücher