Heidelberger Requiem
bessern.«
Ich hätte sie würgen können! Einfach am Hals packen und schütteln, bis sie um Gnade wimmerte. Oder wenigstens eine Spur von Gefühl zeige. Sie setzte den Blinker und bog ab, zu meiner Verblüffung nach links statt nach rechts. Rechts am Hang lag das Neuenheimer Villenviertel, so viel wusste ich schon. Links lag – nichts von Bedeutung. Zwei Querstraßen weiter hielt sie vor einer nicht gerade bescheidenen, aber auch keineswegs großzügigen Doppelhaushälfte. Nur das Fehlen eines Namens an der Klingel wies darauf hin, dass hier vielleicht keine gewöhnlichen Menschen wohnten. Inzwischen hatte ich immerhin in Erfahrung bringen können, dass die Grotheers zwei Kinder hatten. Es gab noch eine Tochter, Sylvia, zwei Jahre älter als Patrick.
Ich wartete, bis Vangelis den Wagen abgeschlossen hatte, und drückte den Knopf. Ein Dreiklanggong ertönte und Schritte näherten sich. Die Hausfrau persönlich öffnete uns.
Frau Grotheer zählte zu den Menschen, die mit einem einzigen kurzen Adjektiv vollständig zu beschreiben sind. Das ihre war: blass. Eine wächserne Haut, blassblaue Augen, graublondes, streng gescheiteltes Haar, ein hellgraues Kleid, ebensolche Schuhe mit flachen Absätzen, und alles zwar nicht gerade billig, aber mit geradezu nach Absicht riechendem Mangel an Eleganz.
»Sie wünschen?«, fragte sie mit farbloser Stimme, nachdem sie sich davon überzeugt hatte, dass wir ihr weder ein Zeitschriftenabonnement aufnötigen wollten, noch an ihrer Meinung zum drohenden Weltuntergang interessiert waren. Wir zeigten unsere Ausweiskärtchen.
»Dürften wir kurz hereinkommen, Frau Professor?«, fragte ich. Mit regloser Miene trat sie zur Seite und ließ uns ein.
»Wir müssen Ihnen leider eine schlechte Nachricht überbringen«, fuhr ich fort, nachdem wir uns im altbürgerlichen Wohnzimmer niedergelassen hatten. »Eine sehr schlechte Nachricht. Leider.«
Sie musterte mich mit mattem Blick. Ich fragte mich, ob sie Medikamente nahm.
»Es geht um Ihren Sohn.«
Klara Vangelis betrachtete voller Interesse die scheußlichen Ölbilder an den Wänden und ließ mich leiden.
»Was ist mit ihm?« Jetzt klang die Stimme von Patrick Grotheers Mutter doch eine Spur beunruhigt.
»Er ist tot.«
»Tot?«, fragte sie verständnislos. Oder teilnahmslos? »War es … sein Wagen?«
»Leider nein.« Ich zwang mich, in ihr Gesicht zu sehen. Vangelis war immer noch in ihre Kunstbetrachtungen vertieft. »Er ist ermordet worden.«
Der Körper der grauen Frau machte eine langsame, fast unmerkliche Veränderung durch. Zuerst senkte sie den Blick, dann die Schultern. Nach und nach wich jede Anspannung aus ihrer Muskulatur. Aber sie weinte nicht, sie schrie nicht, sie sah einfach nur auf den Teppich und schwieg.
»Haben Sie jemanden, der sich um Sie kümmern kann, Frau Professor?«
Keine Reaktion.
»Sollen wir jemanden rufen? Einen Arzt? Ihren Mann?«
»Mein Arzt ist mein Mann«, erwiderte sie mit einer Stimme ohne jeden Klang. »Er ist in den Staaten. Auf einem Kongress.«
»Ihre Tochter vielleicht?«
Sie erhob sich, ging mit überraschend sicheren Schritten zum Telefon, einem alten grünen Tastentelefon mit schwarzer Schnur und wählte eine Nummer.
»Sylvia, würdest du bitte kommen? Ja, es ist etwas vorgefallen. Mit Patrick, ja.«
In der nächsten Viertelstunde lernte ich meinen neuen Job hassen. Frau Grotheer saß auf ihrem Sessel und studierte das Muster des Perserteppichs, als wäre er eben erst geliefert worden. Vangelis tat, als ginge sie das alles nichts an, und ich versuchte verzweifelt, etwas wie ein Gespräch in Gang zu bringen. Es gelang mir nicht. Frau Grotheer wollte nicht wissen, wer ihren Sohn ermordet hatte, es interessierte sie nicht, wann oder weshalb. Er war tot, und alles andere war ihr gleichgültig. Mir wurde klar, dass sie mit diesem Besuch gerechnet hatte, dass ihr Sohn für sie schon vor langem gestorben war. Wir lieferten nur die letzte Bestätigung einer Nachricht, die sie längst kannte. Wenn er wirklich im Drogenhandel mitgemischt haben sollte, wie wir inzwischen vermuteten, dann war ihre Haltung vielleicht nicht verwunderlich.
Ich trat an die offene Terrassentür, nahm mein Handy heraus und wählte Balkes Nummer. Er berichtete mir aufgeräumt, nach Angaben der Zulassungsstelle habe Grotheer neben dem Ferrari noch einen zweiten Wagen besessen, einen dunkelblauen Renault Kombi, den sie bisher jedoch weder in der Tiefgarage noch in der näheren Umgebung gefunden hatten. Weiter erfuhr
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