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Heirate keinen Arzt

Heirate keinen Arzt

Titel: Heirate keinen Arzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Tibber
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herrichten lassen. Im Augenblick mußte es bleiben, wie es war, und als einzige Verbesserung sorgte ich für frische Luft, Seife und Wasser. Ich stieß die Fenster auf (eine etwas übertriebene Feststellung, da sie so schwer beweglich waren wie die Glieder eines alten Arthritikers) und blickte hinaus, als ich hinter mir ein Schlurfen vernahm. Da stand Mrs. Little, immer noch den Hut auf dem Kopf und mit Schrubber und Eimer bewaffnet. Ich lächelte ihr zu, denn es freute mich, daß sie meinem Wunsche zuvorgekommen war, und sie brachte es fertig, zugleich dankend zu nicken und mißfällig über den Zustand des Zimmers zu prusten. Ich überließ es ihr, ihren Schlachtplan zu entwerfen, und begab mich in das anstoßende Sprechzimmer.
    Außer in einer Bibliothek hatte ich noch nie so viele Bücher beisammen gesehen, wie hier in diesem kleinen Sprechzimmer. So viele Bücher, aber kein einziges Büchergestell. Sie lagen in rauhen Mengen auf der Untersuchungscouch; sie lagen, durchsetzt mit einem Haufen alter medizinischer Zeitschriften, unter der Couch; sie lagen auf dem Fensterbrett und versperrten dem Licht den Zutritt. Sie krönten den Kartothekschrank bis an die Decke. Sie verdeckten die Schreibtischplatte. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie mein Vorgänger hier je einen Patienten hatte untersuchen können, außer etwa auf dem Fußboden, wo ein schmaler Streifen, der zum Apothekenkämmerchen führte, freigelassen war. Ich rollte die Ärmel auf, und - mit etwas schwerem Herzen, denn ich dachte an den Frühjahrssonnenschein draußen, machte ich mich ans Werk.
    Mrs. Little scheuerte nach Herzenslust, und ich arbeitete mich wie besessen durch die Bücher hindurch. Ich versorgte sie in Pappschachteln, in denen man sie auf den Estrich bringen konnte, um ein wenig Platz in meinem Arbeitszimmer zu schaffen. Ich kam nur sehr langsam voran. Ich hielt mich zu häufig damit auf, den Staub von den Deckeln zu blasen, die vergilbten Seiten umzuwenden und in den Werken zu schmökern. Da war ein »Atlas der Geburtshilfe« von 1902; ein »Medizinischer Handatlas« von 1910; ein »Lehrbuch der Medizinischen Praxis« von 1895. Die neueste Publikation schien eine Nummer des »Punch« aus dem Jahre 1939 zu sein. Das weitaus interessanteste Werk war ein dicker Band der 2. Auflage von »Notfälle der Allgemeinen Praxis«, das um die Jahrhundertwende erschienen war. Ich war höchlichst erstaunt, denn ich hatte mir nie den Kopf darüber zerbrochen, wie verschieden die Welt der Medizin heute von der jener Zeit war, als der Eigentümer dieser Bücher seine Praxis aufgenommen hatte. Fast überkam mich beim Lesen ein beschämendes Gefühl wegen der zahllosen mechanischen Hilfsmittel für Diagnose und Therapie, die meiner Generation so geläufig geworden waren, und ohne welche mein Vorgänger zu Beginn seiner Laufbahn seine Patienten hatte behandeln müssen. Mit seiner Aufgabe verglichen, erschien mir meine als etwas, bei dem selbst ein Kind nicht fehlgehen konnte. Ich fragte mich, ob wohl meine Söhne, oder vielleicht meine Enkelsöhne, nach Jahren von Mitleid für mich ergriffen würden, und ob sie mich, der ich über nichts gebot als meine Röntgenstrahlen, meine Elektrokardiogramme und die Penicillinspritze, ebenso bedauern würden. War es etwa das durch den Staub filtrierte Licht des Raumes, waren es die viktorianischen Vorfahren des alten Arztes, die mich aus verblaßten Sepiabildern rings um die Wände anblickten - jedenfalls verspürte ich ein sonderbares Verlangen, mich in die Zeit zurückzuversetzen, in der dieser alte Mann, dessen Sprechzimmer jetzt das meine war, zu praktizieren begonnen hatte. Ich würde ihm dann behutsam das Skalpell aus der Hand nehmen, mit dem er soeben einer Mandelschwellung zu Leib gehen wollte, und ihm unter Hinweis auf die neuesten Lehrbücher auseinandersetzen, daß sich bei Zuhilfenahme von Penicillin diese einst gefürchteten Schwellungen, eine Begleiterscheinung der Mandelentzündung, nie mehr entwickelten. Ich würde ihm vom Cortison zur Behandlung rheumatoider Arthritis berichten, vom Elektroschock zur Behandlung von Psychosen, von Elektroencephalogrammen zur Diagnose von Gehirnerkrankungen. Ich würde ihm Blutbanken zeigen und Schulärzte, Lungen- und Herzoperationen. Ich würde ihm erklären, daß viele der geburtshilflichen Komplikationen, mit denen er vertraut war, durch richtige vorgeburtliche Übungen vermieden werden konnten, und daß die Gastroenteritis, zu seiner Zeit ein Kindermörder, in der

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