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Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)

Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)

Titel: Das Herz des Menschen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jón Kalman Stefánsson
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Der Tod ist weder Licht noch Dunkelheit, er ist nur alles andere als Leben. Manchmal stehen wir Sterbenden in ihrer letzten Stunde bei und sehen zu, wie das Leben aus ihnen weicht; jedes Leben ist ein Universum, und es tut weh zu sehen, wie es verschwindet, wie es sich von einem Moment auf den anderen in Nichts verwandelt. Jedes Leben verläuft anders, flach und ereignislos bei den einen, reich an Abenteuern bei anderen, und dennoch ist jedes einzelne Bewusstsein eine Welt, die von der Erde bis in den Himmel reicht. Wie aber kann etwas so Großes einfach verschwinden, zu einem Nichts werden, von dem nicht einmal Schaum oder wenigstens ein Echo zurückbleibt? Es ist schon lange her, dass jemand zu unserer Schar gestoßen ist, wir sind blutleere Schatten, nein, weniger als Schatten, und es ist furchtbar, tot zu sein und dennoch nicht sterben zu dürfen, das ist für niemanden gut. Immer wieder haben einige von uns versucht, sich davonzumachen, haben sich vor immer größer werdende Autos geworfen oder wollten sich von wütenden Hunden zerfleischen lassen, aber die Hundezähne schnappten durch uns hindurch wie durch Luft. Wie kann man denn weniger als nichts sein und sich gleichzeitig an alles erinnern, tot sein und sich doch lebendiger fühlen als je zuvor? Abends siehst du uns auf dem Friedhof hinter der Kirche kauern, die sich seit einem Jahrhundert an dieser Stelle befindet, wenn es auch verschiedene Gebäude waren – unsere Kirche, in der Pastor Þorvaldur leider ohne großen Erfolg versucht hat, Vergebung für seine Schwächen zu finden, denn die Stärke eines jeden Menschen wird ausschließlich an seinen Schwächen gemessen, daran, wie sie sich an ihnen bewährt. Inzwischen ist die mit Wellblech verkleidete Kirche aus Holz längst verschwunden, und an ihre Stelle ist eine andere aus Stein getreten, dem Baumaterial aus den Bergen, was sehr gut passt, denn an solchen Orten sollte man eine Kirche entweder dem Himmel oder den Bergen nachbilden. Die einzigen Momente, in denen wir einen Anflug von Frieden finden, sind die auf dem Friedhof. Hier glauben wir das Murmeln der Toten unten in der Erde zu vernehmen, einen fernen Nachklang guter Gespräche. So kann die Verzweiflung einen täuschen. Diese friedlichen Augenblicke sind nach und nach mehr geworden, sie scheinen auch länger zu dauern, sind von Sekundenbruchteilen auf Sekunden angewachsen. Es geht uns nicht direkt gut, aber die Worte halten uns warm, sie geben uns Hoffnung; denn wo es Worte gibt, da gibt es auch Leben. Empfange sie, und es gibt uns. Nimm sie auf, und es gibt Hoffnung. Das sind die Geschichten, die wir erzählen sollten. Geh nicht weg!

In einem alten arabischen Buch der Heilkunst heißt es, das menschliche Herz bestehe aus zwei Kammern, von denen die eine Glück heißt und die andere Verzweiflung. Welcher sollen wir glauben?

I
    Wo hören die Träume auf, wo fängt die Wirklichkeit an? Die Träume kommen von innen, sie sickern aus der Welt hervor, die wir alle in uns tragen, wahrscheinlich verdreht und verzerrt, aber was ist nicht verdreht, was ist nicht schief? Heute liebe ich dich, morgen hasse ich dich – wer immer derselbe ist, belügt die Welt.
    Der Junge liegt lange mit geschlossenen Augen da, unsicher, ob Tag oder Nacht herrscht, ob er wacht oder schläft. Er und Jens sind auf etwas Hartes gestoßen. Erst haben sie Hjalti verloren, den Knecht, der sie von Nes begleitet hat. Sie haben den Sarg mit Ásta über Berge und Heiden geschleppt. Dann waren Jens und der Junge auf etwas Hartes gestoßen. Wie viel Zeit ist seitdem vergangen? Wo befindet er sich? Zögernd öffnet er die Augen, denn man weiß nicht sicher, was einen nach dem Schlafen erwartet, Welten ändern sich in einer Nacht, Leben erlöschen, der Abstand zwischen den Sternen wächst, und das Dunkel breitet sich aus. Er öffnet zögernd und vorsichtig die Augen und liegt in einem von Mondlicht erhellten Zimmer, liegt in totenbleichem Mondlicht da, und auch das Gesicht von Hjalti, der auf einem Stuhl sitzt und den Jungen reglos ansieht, ist unangenehm bleich. Neben dem Bett steht Ásta, und ein kühler Hauch geht von ihr aus.
    Du kommst wohl immer mit dem Leben davon, sagt Hjalti langsam.
    Ja, es gibt immer jemanden, der bereitsteht, ihm wieder auf die Beine zu helfen, sagt Jens. Er sitzt im Bett neben dem des Jungen, und das Mondlicht hat ihm eine Totenmaske geschneidert.
    Aber jetzt hilft dir keiner, sagt Ásta.
    Nein, sagt Jens, er hat es auch nicht verdient.
    Was hätte er auch

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