Heiter weiter
abgesagt, weil ich in Tokyo war, ein Abschied. Vormittags um elf Uhr. Der Intendant redet, sehr herzlich, sehr persönlich. Ich komme gar nicht dazu, alle zu begrüßen, geschweige denn, mich von allen zu verabschieden. Ich fühle mich wie in einem Film. Ein wenig fremd, beklommen. Das alles hat mit mir zu tun? Ich mag es nicht glauben.
Die Kolleginnen und Kollegen haben sich hübsch gemacht. Ich fühle mich umhüllt von Wärme und Sympathie. Das war gestern. Und heute ist es vorbei.
Wehe dem, der behauptet ein Abschied sei einfach. Es ist nicht einfach, nach 40 Jahren im Berufsleben aufzuhören. Die täglichen Rituale, der Rahmen, alles das fällt weg. Wie haben wir uns auf die luxuriösen sechs Wochen Urlaub im Jahr gefreut! Wie kleine Kinder die Urlaubszeiten über Feiertage gelegt, damit es mehr wurde. Mehr an freier Zeit. Jetzt ist immer frei. Für den Rest des Lebens. Kann man sich daran gewöhnen? Ich kenne Rentner und Pensionäre, die immer behaupten, keine Zeit zu haben. Die stets vorgeben, im Stress zu sein, und schon gar nicht mal spontan unter der Woche mit ins Kino gehen können.
Das kann es doch auch nicht sein. Aber was dann?
Mit ziemlichem Entsetzen habe ich beobachtet, wie manch männliche Kollegen den Schritt in den Ruhestand, in die Pension verleugnet haben. Wie sie keine Verabschiedung wollten. Dafür ganz sang- und klanglos vom Acker zogen. Nicht mal eine Übergabe organisierten für ihren längst gewählten Nachfolger. Nur ein Anruf: »Du kannst jetzt kommen, der Schreibtisch ist geräumt.« Die in der Woche darauf die Möbel in ihrem Domizil packten und ganz weit weg zogen vom Arbeitsumfeld, dem sie 25 Jahre eng verbunden waren. Wo sie zwei Drittel ihrer wachen Zeit verbracht, ihr Leben gelebt haben. Die Kolleginnen und Kollegen zu Freunden geworden sind. Und dann – ganz weit weg. Ist das der richtige Weg? Ich habe da so meine Zweifel.
Nachts kommen die Gedanken. Auch die Angst. Das will ich nicht verleugnen. Was mache ich, wenn die Hauptaufgabe wegfällt? Der große Sender mit dem wunderbar funktionierenden Sekretariat, der Referentin, den Fahrern und Dienstwagen. Den festen Terminen in den Gremien,
die meist schon im September für das kommende Jahr in die Kalender eingetragen werden. Die freigeschaufelten Lücken für die eigenen Ideen.
Was will ich? Was kann ich? Wofür bin ich auf der Welt? Eine solche Zäsur nach Kindheit und Jugend und über 40 ausgefüllten Berufsjahren zwingt zu elementaren Erkenntnissen. Hilft ein Plan für das Alter? Ganz dicht und vollgepackt? Wie einst der Terminkalender, über den die Sekretärinnen herrschten und viel weniger ich selbst?
Die kluge Wissenschaftlerin und Schriftstellerin Hannah Arendt hat mich schon früh mit ihrem Buch »Vita activa oder vom tatigen Leben« bewegt. Ist es das, wozu wir auf der Welt sind? Aktiv sein bis zum letzten Atemzug? Und: Aktiv – nur wo?
»Du sollst mit deinen Pfunden wuchern«, so steht es in der Bibel. Ein Satz, den ich gerne zitiere. Wenn mir mal wieder jemand sagt: Du machst zu viel. Im dritten Leben weiterwuchern? Es gehen einem so viele Gedanken durch den Kopf, wenn das Ende des Berufslebens näher rückt, der Monat, die Woche, der Tag.
Wichtig war mir, dass ich den Tag selbst bestimmen konnte. Sicher, der 65. Geburtstag steht fest. Das Ende meines Vertrages ist fixiert. Dennoch kann man sagen, wann man gerne ausscheiden möchte. Das war mir wichtig, selbstbestimmt, nicht fremdbestimmt. Ich wollte ein wenig vor dem 65. Geburtstag gehen. Auch nachdem ich mir alles gut ausgerechnet hatte. Vorher sind unzählige Listen entstanden: die einfachen To-do-Listen für den »technischen« Kram: BfA-Rente abfragen, Pensionsleistungen der Sender checken und prüfen lassen. Ich war ja immerhin nach dem Münchner Merkur und der Abendzeitung
beim Bayerischen Rundfunk, beim ZDF und zum Schluss beim NDR fest angestellt gewesen. Mit mehreren Fachleuten die Finanzen prüfen, Lücken aufspüren. Konzepte entwerfen. Das Schwierigste war die Rechnung, was ich im dritten Leben tatsächlich brauchen würde. Den ehrlichen Berater erkennen Sie an der ehrlichen Antwort: »Das kann ich Ihnen nicht sagen.«
Die kompliziertere Liste befasste sich mit meinen Neigungen und Fähigkeiten. Als Journalistin habe ich schreiben gelernt. Das würde ich immer weiter ausüben können. Frage nur: Wo, für wen? Ehrenamtliches Engagement gehört für mich zum Leben dazu. Im Hochschulrat der Universität Hamburg bin ich jetzt schon seit 2003.
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