Heldenstellung
jemanden, der mir erst neulich gesagt hat, dass er einen Unternehmensberater gebrauchen könne. Außerdem ist seine Tochter in der Lage, ausgebrannten Managern neues Leben einzuhauchen. Und ich bin mir irgendwie sicher, dass die beiden nicht gerade in Indien ein neues Leben beginnen.
»Jessica, sind Hari und Sina noch in der Stadt?«
»Nein«, entgegnet Jessica so überrascht wie erschrocken. Sie ist wirklich eine unglaublich schlechte Lügnerin. Ich zähle stumm bis fünf, dann sagt Jessica: »Okay, doch.«
Hari und Sina befinden sich noch immer im Land, genauer gesagt: in ihrem Studio. Tagsüber versuchen sie dort, einen Ausweg aus ihrer Misere zu finden, nachts geben sie langjährigen Mitgliedern wie Jessica heimlich Yoga-Unterricht. Wenn die Adam wieder hinkriegen, fällt ihm bestimmt ein, wie sie ihr Studio retten können.
»Das wäre eine Win-win-Situation!«, rutscht es mir heraus. Adam zuckt zusammen, woraufhin Jessica den Zeigefinger vor die Lippen hält.
»Keine Beratersprache.«
Der nächste Yogakurs beginnt in eineinhalb Stunden. Ich rufe Error an, denn ich brauche ihn, um Adam ins Auto zu bugsieren und Hari zu überzeugen. Als ich ihm von meinem Plan erzähle, ist er sofort Feuer und Flamme.
»Für dein Karma ist das allererste Sahne, mein Freund.«
Eine Stunde später setzen wir Adam direkt hinter den Fahrersitz. Der einzige Vorteil an seiner Situation ist, dass er alles widerstandslos mit sich geschehen lässt und sich nicht mal beschwert, als ich zu stark bremse und er mit dem Kopf gegen die Lehne des Vordersitzes schlägt. Auch nicht beim zweiten Mal. Blöder Berufsverkehr.
Das Yogastudio sieht so verwaist aus wie ein veganes Restaurant auf dem Oktoberfest: Weder Licht noch Stimmen dringen durch die Lamellen der Jalousien. An der Tür hängen ein »Geschlossen«-Schild und ein Zettel mit dem Hinweis, Post doch bitte beim arabischen Imbiss um die Ecke abzugeben. Trotz des Regens steigen wir aus.
»Bist du dir sicher, dass jemand da ist?«, frage ich. Jessica nickt und klopft.
»Ganz ruhig mein Lieber«, sagt Error und legt mir den Arm um die Schulter. »Was bist du denn so aufgeregt?«
Ich sehe gequält zu Adam herüber, der sich als Einziger nicht unter das kleine Vordach gestellt hat, sondern immer noch im Regen steht. Schnell laufe ich los und schiebe ihn ins Trockene.
In dem Moment öffnet sich die Tür einen Spalt, und Haris roter Bürstenschnitt kommt zum Vorschein. Mein ehemaliger Yogalehrer starrt mich an.
»Nicht du schon wieder!«
»Also, ich will ja jetzt nicht päpstlicher klingen als der Papst, aber diesmal geht es nicht um mich«, entgegne ich.
»Das glaube ich nicht.«
»Können wir reinkommen?«, fragt Jessica leise. Hari nickt in meine Richtung.
»Ihr schon, er nicht. Sina will ihn bestimmt nicht sehen. Und ich auch nicht. Außerdem findet gerade offiziell kein Yoga statt, weil der Herr Unternehmensberater und sein Vater unser Studio an irgendeinen Immobilienhai verscherbeln werden, der daraus Wohnungen für Spekulanten macht.«
Ich atme tief durch.
»Hari, ich verstehe, dass du wütend bist.«
»Wütend war ich, als du Sina das Herz gebrochen hast. Jetzt bin ich zum ersten Mal seit meiner Pubertät so richtig sauer. Da bringt mir selbst die Pranayama-Atmung nichts mehr.«
»Wer ist da?«, höre ich Sinas Stimme aus dem Innern des Studios rufen.
»Sina!«, entfährt es mir, da tritt Hari einen Schritt vor die Tür und knallt sie hinter sich zu.
»Was willst du hier?«, fragt er mich und zeigt auf Adam. »Und wer ist das?«
»Du hast doch gesagt, du brauchst einen guten Unternehmensberater«, erkläre ich und deute auf Adam. »Ich habe dir einen mitgebracht. Er ist richtig gut – oder war es zumindest. Hari tritt näher an Adam heran. Der schaut starr durch ihn hindurch. »Verstehen Sie mich?«, fragt Hari so leise und langsam, als würde er eine Meditation anleiten. Aber Adam reagiert nicht.
»Ein Freund von dir?« Ich schüttle den Kopf.
»Erzfeind. Mehr erzähle ich dir lieber nicht. Ich glaube er hat . . .«
». . . einen Burn-out«, ergänzt Hari. »Habe ich in meinen Managerseminaren schon erlebt.« Sein Gesichtsausdruck wird versöhnlicher.
»Kommt rein«, sagt er und öffnet die Tür. »Hier draußen ist es zu kalt.«
Hari legt Adam den Arm um die Schulter und schiebt ihn ins Studio. Jessica und Error folgen. Nur ich bleibe unschlüssig draußen stehen. Die Tür fällt zu. Ich drehe mich um und gehe zurück zum Auto. Da höre ich Haris
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