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Kohlenstaub (German Edition)

Kohlenstaub (German Edition)

Titel: Kohlenstaub (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne-Kathrin Koppetsch
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EINS
    »Schwester
Gerlach, glauben Sie an die unbefleckte Empfängnis?«
    Mein Pfarrkollege
Kruse baute sich breitbeinig vor mir auf und grinste. Auf diese Frage gab es
kaum eine passende Antwort. Kruse erwartete auch gar keine, ihm ging es
offensichtlich darum, mich zu provozieren.
    Trotzdem enthielt
die Frage einen ernst zu nehmenden Kern, denn Kruse zweifelte an meiner
Rechtgläubigkeit und, schlimmer noch, an meiner Berechtigung, das Pfarramt
auszuüben. »Einem Weibe aber gestatte ich nicht, dass sie lehre«, hatte er mir
bei meiner Einführung zugezischt, einen Vers aus dem Neuen Testament. Das sei
weder in der Bibel noch in der Kirchengeschichte vorgesehen. Dabei ignorierte
er, dass wir das Jahr 1965 schrieben und Frauen inzwischen in fast allen
Berufen ihren Mann standen.
    In
Dortmund war ich nun als erste Pastorin in eine evangelische Kirchengemeinde
gewählt worden. »Du bist ein Pionier«, hatte meine Amtsschwester Rosi erklärt.
»Ich bin stolz auf dich!« Sie selbst war in der Altenheimseelsorge tätig.
    Mit der linken
Hand winkte mir Kruse noch einmal lässig zu. Dann öffnete er die Tür seines
hellgrauen NSU Prinz und schob seinen runden Leib
hinter das Steuer. Er sah aus wie der Fernsehmann Werner Höfer, allerdings viel
dicker. Kruses Pfarrhaus lag zwar nur wenige Straßen entfernt, doch er ging niemals
zu Fuß, wenn er auch fahren konnte.
    Zu Hause erwartete
ihn die ebenfalls wohlbeleibte Gattin mit einer kohlehydrat- und fettreichen
Mahlzeit, vermutlich Kotelett, Kohl, Kartoffeln und eine Flasche Dortmunder
Union zum Samstagabend.
    »Und lesen Sie
fleißig den Apostel Paulus, liebe Schwester!«, rief Kruse mir aus dem offenen
Autofenster nach. »Sie erinnern sich: Das Weib schweige in der Gemeinde!«
    »Dann predigen Sie
morgen doch selbst«, hielt ich mit halblauter Stimme dagegen, aber das bekam er
nicht mehr mit, weil er schon Gas gegeben hatte.
    Was bildete Kruse
sich ein? Reichte es nicht, dass er meinem Kollegen und mir eine
Dienstbesprechung am Ostersamstagnachmittag aufs Auge gedrückt hatte? Von
einem, der seine Ehefrau »Mutti« nannte, ließ ich mir nicht vorschreiben,
welchen Beruf ich ausüben durfte. Wenn er der Meinung war, Frauen gehörten an
den Herd und nicht auf die Kanzel, dann war das sein Problem.
    Leider stand er
mit seiner Meinung nicht allein da.
    »Sie wissen, dass
nicht alle so denken?« Unbemerkt war Pastor Hanning näher getreten, mein
zweiter Kollege in dieser Kirchengemeinde am Rande der Dortmunder Innenstadt.
Er war ein schmaler Mann um die vierzig, der seine Geheimratsecken unter einem
schwarzen Hut verbarg. Seine großen Augen hinter den Brillengläsern hatten wie
immer einen leicht erstaunten Ausdruck.
    Ich schätzte Hanning
als netten und zurückhaltenden Menschen. Leider konnte er sich häufig nicht
gegen Kruse durchsetzen. So war auch sein Einspruch gegen den Zeitpunkt unserer
Dienstbesprechung wirkungslos geblieben.
    »Natürlich weiß
ich, dass die meisten mich akzeptieren«, erwiderte ich und senkte verlegen den
Blick. Ich war mir unsicher, wie ich ihn ansprechen sollte. Die männlichen
Kollegen duzten einander, doch mir hatten sie diesen vertraulichen Umgang nicht
angeboten. Und so hatte ich die Wahl zwischen »Bruder Hanning« und »Herr
Hanning«. Ersteres klang merkwürdig, Letzteres sehr distanziert.
    »Sie sind uns eine
große Hilfe in der Gemeinde. Ich habe mich seinerzeit sehr für Sie verwendet.
Sie haben mich nicht enttäuscht – wenn ich das so ausdrücken darf. Insbesondere
unser Frauenkreis hat sich lobend geäußert«, fügte er etwas steif hinzu.
Hanning wirkte genauso verlegen, wie ich mich fühlte. Suchte er ebenfalls nach
der passenden Anrede, oder hatte seine Scheu damit zu tun, dass er, der
Junggeselle, mir als lediger Frau gegenüberstand?
    Als bekannt wurde,
in welcher Gemeinde ich arbeiten würde, hörten einige der Amtsbrüder schon die
Hochzeitsglocken läuten. »Eine Pastorin? Keine Sorge«, beruhigten sie den aufgebrachten
Kruse. »Das heiratet sich weg, das Problem. Dein Kollege ist doch noch zu
haben, nicht wahr? Da wird sich schon etwas ergeben …« Sicher hatte auch
Hanning von diesen Gerüchten gehört.
    Eine peinliche
Pause entstand.
    Dann lupfte
Hanning seinen Hut. »Ich muss mich jetzt leider verabschieden«, kündigte er an.
»Ich kann meine Mutter nicht länger alleine lassen. Auf Wiedersehen morgen im
Gottesdienst.«
    Ich sah ihm nach
und zog mir den Mantel fester um die Schultern; obwohl bereits Mitte April, war
es

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