Hendrikje, vorübergehend erschossen
sofort wegrutschen und auf den Boden fallen. Bruno krault sich den Bart, grinst, nimmt den Koffer vom
Boden auf, schließt die Tür auf und trägt den Koffer ins Haus, und Hendrikje folgt ihm, alle drei Kartons unter ihrem Kinn
gestapelt.
Bruno macht Frühstück in seiner Küche, die Hendrikje ja schon ganz gut kennt. Brunos Küche sieht genau so aus wie die von
der Omi. Alles ist alt, es gibt kein Stück hier, das jünger als zwanzig Jahre wäre, vom Porzellanfilter auf der Kaffeekanne,
dem Milchtöpfchen aus Blech bis zu den Eierbechern, die tatsächlich von vor dem ersten Weltkrieg sind und keinen Tag jünger
aussehen.
Hendrikje findet so was gemütlich und sieht Bruno zu, wie er Spiegeleier zum Frühstück macht. Und als die Spiegeleier auf
den Tellern liegen und der Kaffee in den Tassen dampft, da will Bruno wissen, welchen Plan sie jetzt hat.
Hendrikje isst eine Gabel von ihrem Spiegeleibrot, schaut Bruno an, kaut, schluckt runter und antwortet: »Erstaufnahmeheim,
Sozialamt, Job suchen.«
»Nee«, sagt Bruno, »ich meine nicht die Organisation des Plans, sondern den Plan.«
Hendrikje glotzt Bruno an und kapiert erst jetzt, was er meint.
»Schulden abbezahlen, malen.«
»Also erst Rothwein«, stellt Bruno sanft fest.
»Rothwein?!« Hendrikje lässt ihre Gabel mit dem nächsten Bissen Spiegeleibrot sinken.
»Ja, du hattest doch damals eine Ausstellung in Aussicht.«
»Ja, aber bei Rothwein kann ich mich nie wieder blicken lassen!«
»Wieso?«
|191| »Weil der … weil ich bei dem völlig verschissen habe.« Hendrikje schiebt ihren Teller weg, denn sie hat schlagartig keinen
Appetit mehr. »Als ich damals weg bin von dir, da bin ich zu Rothwein, um ihm zu sagen, dass es meine Bilder nicht mehr gibt,
du hättest den mal sehen sollen, wie der mich angeguckt hat, also wenn Blicke töten könnten, ich sage dir …«
»Ich hab’s gesehen«, sagt Bruno, »steht bei mir im Arbeitszimmer, der Blick. Ich denk immer, der
ekelt
sich, wenn ich es angucke.«
»Oh ja. Er ekelte sich.« Und Hendrikje merkt, dass ihr langsam schlecht wird.
»Warum gehst du nicht hin und schenkst ihm das Bild?«
Bruno schaut Hendrikje stolz an, so als würde er Applaus erwarten für seine fabelhafte Idee, aber das Nächste, was Hendrikje
macht, ist, dass sie aufsteht, die Küche ohne weitere Worte wegen der vor den Mund gehaltenen Hände verlässt, über den Flur
rennt und dem Klo ihre paar Bissen Spiegeleibrot vermacht, auf Knien.
Bruno kann die Bescherung hören und nun schämt er sich, dass er so besserwisserisch und oberlehrerhaft herumgeredet hat, ehe
auch nur ein einziges Frühstück in Freiheit eingenommen werden konnte. Scheiße, erklär ihm doch mal einer was über den Umgang
mit Frauen …
Es dauert eine halbe Stunde, ehe Hendrikje zurückkommt. Sie steht kreidebleich im Türrahmen und fragt: »Hast du ein altes
Bettuch?«
Bruno nickt und geht mit ihr ins Schlafzimmer, wo Hendrikje ihre grünen Gesichter mit den lila Lippen sieht, die sich gegenseitig
mit Heringsköpfen in Kabeljaublau füttern, und ihre rekonstruierte Eisenbahnbrücke und währenddessen holt Bruno aus dem alten
Eichenschrank ein frisches Bettuch und Hendrikje nimmt es ihm ab und geht damit |192| voran, ungefragt in sein Arbeitszimmer hinein, wo sie Rothweins Konterfei am Regal lehnen sieht, gleich neben Gudrun mit Schere
auf Orchidee. Sie wickelt Rothwein in das alte Bettuch ein und stratzt kommentarlos mit dem Bild unterm Arm Richtung Wohnungstür,
als Bruno sie fragt: »Soll ich nicht lieber mitkommen?«
Aber Hendrikje ist schon im Treppenhaus und ruft nur noch: »Wenn die Großen Bleichen noch da sind, wo sie früher waren, dann
finde ich da alleine hin.« Und ist weg.
So hat er das aber doch gar nicht gemeint! Doch nicht so kopflos losstürzen! Das war doch eher
allegorisch
gemeint, Rothwein das Bild schenken, er wollte doch damit nur sagen:
Schenk ihm doch seinen eigenen Ekel einfach zurück!
Und so fängt Bruno an, nun richtig zu leiden, denn er sorgt sich um Hendrikje, die so ausgekotzt zu Rothwein rennt! Haaach
… erklär ihm einer die Frauen …! Wenn sie wiederkommt, hat sie das Rothweinsche Konterfei wahrscheinlich um den Hals hängen,
weil Rothwein es ihr über den Schädel gezogen hat. Oder, wenn der in Wirklichkeit auch so guckt wie auf dem Bild, dann frisst
er sie und macht Zahnstocher aus ihren Knöchelchen.
Solche Möglichkeiten abwägend, tigert Bruno eine Dreiviertelstunde lang
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