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Hendrikje, vorübergehend erschossen

Titel: Hendrikje, vorübergehend erschossen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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einen Bügel und zündet sich einen Zigarillo an und krault sich den Bart und lächelt stolz, denn das hier ist sein Werk.
    Es gibt Besucher, die tragen sich wirklich in die Verkaufslisten ein. Hendrikje merkt das nur, weil Rothwein ihre Augen mit
     einer kleinen, scharfen Bewegung seiner Augen zu dem Tisch führt, auf dem die Listen ausliegen. Bruno hat ein Glas Prosecco
     in der Hand und baut sich fachmännisch vor den Bildern auf. Er raucht, und als Hendrikje neben ihm auftaucht, da drückt er
     ganz kurz ihre schweißnasse Hand und zieht sie auch gleich wieder zurück.
    Und Hendrikje schlendert zum Eingang der Galerie an der Straße, wo sich Dieters Segelschiff im Schaufenster spiegelt, sie
     tippt an den aufgehängten, frei schwebenden Rahmen, so dass das Segelschiff ein bisschen wackelt. Und erstarrt.
    Draußen, ganz gebannt vor dem Segelschiff steht und guckt schreckstarr Hendrikje ins Gesicht: Paula.
    Die beiden Frauen sehen sich einen Moment lang unverwandt ins Gesicht. Dann tobt Paula los und davon, und Hendrikje rennt
     raus in die Kälte und hinterher, die ganzen Großen Bleichen lang. Und ruft ihr hinterher, sie soll stehen bleiben, aber Paula
     rennt nur immer schneller. Aber nicht mit Hendrikje. Die rennt wie vom Affen gebissen, ihr Herz schlägt bis zum Hals und endlich
     holt sie Paula ein und muss |205| sie an ihrer Anorakkapuze festhalten, damit sie stehen bleibt.
    »Ich tu dir nix!«, keucht Hendrikje. »Ich tu dir wirklich nix!« Aber Paula strampelt und tritt und schlägt um sich. Hendrikje
     dreht ihr den Arm im Polizeigriff nach hinten und keucht: »Ich tu dir nix, Paula!«
    Und langsam beruhigt sich Paula, weil das mit dem Arm im Kreuz auch gar nicht anders geht, und Hendrikje lässt sie wieder
     los und Paula fragt ängstlich: »Echt jetzt?«
    »Echt jetzt«, bestätigt Hendrikje und sie friert in ihrem dünnen roten Minikleidchen.
    »Ich hab dein Schmuckkästchen«, piepst Paula und Hendrikje glotzt Paula an wie ein Weltwunder. Die Tränen schießen ihr in
     die Augen und kullern auch gleich die Wangen herunter: »Echt jetzt?«
    »Echt«, nickt Paula, gibt Hendrikje ein sauberes Papiertaschentuch aus ihrer Anoraktasche und fügt noch hinzu: »Nur nicht
     dabei.«
    »Komm mit«, sagt Hendrikje zu Paula, nimmt sie an der Hand und zieht sie die ganzen langen Großen Bleichen wieder mit runter
     zu Rothwein in die Galerie zu den Leuten und organisiert Prosecco für Paula.
    Paula erzählt ihr, dass sie jetzt beim Türken an der Schanze im Gemüseladen arbeitet und mit dem sein Sohn Ahmed verlobt ist.
     Und dass sie da wohnt und dass da das Schmuckkästchen liegt. Und Hendrikje glotzt Paula an und könnte sie küssen und tut das
     dann auch. Sie nimmt Paulas Kopf in beide Hände und drückt ihr einen Kuss auf den Mund, und da heult Paula und fingert zitternd
     in ihren Anoraktaschen nach ihren Fluppen herum und findet sie und steckt sich eine in den Mund, und wie sie sie anzünden
     will, da nimmt Hendrikje sie ihr ’raus aus dem Mund. »Mensch! Die anderen rauchen doch auch!«, protestiert |206| Paula und Hendrikje antwortet ihr: »Die anderen
können
rauchen.«
    Und dann will Hendrikje aber doch noch von Paula wissen, wieso sie damals, entgegen jeder Verabredung, Ernst, Sophie und Lisa
     ins Abbruchhaus brachte. »Paula«, sagt Hendrikje mit ganz sanfter Stimme, »ich tu dir echt nix, aber sag mir doch, wie es
     dazu kommen konnte, dass du damals die Leute aus meiner Wohnung zu mir ins Abbruchhaus geführt hast. Was haste dir denn dabei
     gedacht?«
    »Ach Mensch«, seufzt Paula, »ich bin rein in die Wohnung und rein in das Schlafzimmer und hab im Schrank das Schmuckkästchen
     gesucht, und das hab ich ja dann da auch gefunden, und plötzlich guckt mein Dealer ins Zimmer rein, der Nette, weißte, der
     Ernst.«
    »Dein
Dealer

    »Ja, wir haben doch bei Ernst immer Shit gekauft, und Kalle, also Kalle war der Freund, der mich Weihnachten rausgeschmissen
     hatte, Kalle hat da manchmal auch andern Stoff geholt.«
    »Nee, Paula, Ernst war kein Dealer …«
    »Auf sicher! Kalle ist immer mit ihm in den Keller vom Copyshop und hat Koks geholt. Den hatte Ernst in einem leeren Kopierer,
     der war innen komplett ausgeräumt.«
    »Paula, spinn nicht rum. Die Polizei hat später doch die Wohnung von Ernst durchsucht, ob den Copyshop weiß ich nicht, aber
     die Wohnung wegen einem Mietvertrag. Die hätten doch was gemerkt.« Hendrikje ist es ganz flau geworden und ihre Beine zittern.
    »Wieso!«, ruft

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