Herbstmilch
schnell die Fäden herunter. Ich pumpte in der Pause wieder Wasser, da kreischte hinter mir die Mesnersfrau, du Schlampe, du bist doch alt genug, daß du deinen Rock einnähen könntest. Ich schaute auf den Rock und schämte mich sehr. Am nächsten Tag ging die Mesnersfrau an mir vorbei und musterte mich genau, ich hatte den Rock aber schon eingenäht. Der Vater sagte, wir Mädchen brauchen keine Handschuhe, wir können unsere Hände auf dem Schulweg in unsere Schürzen einwickeln. Aber weil wir weder ein Höschen noch ein Unterkleid, auch keinen Mantel, nur ein dünnes Kleidchen anhatten, fror uns trotzdem. Die Buben hatten es besser, die hatten eine Unterhose und eine Hose mit Leibchen. An der Hose war hinten ein Türchen zum Aufknöpfen, wenn sie mal mußten. Eine Joppe aus dickem Stoff, Haube und Handschuhe hatten sie auch. Durch die vielen Flicken war ihre Kleidung noch wärmer. Im Winter und an Regentagen wußten wir gar nicht, wo wir all die nasse Wäsche aufhängen sollten, und zum Wechseln war nichts da. Neue Kleidung gab es selten. Zu Weihnachten brachte die Meieredermutter immer einen großen Korb voll Sachen für uns Kinder, auch Weihnachtsgebäck. Das war immer etwas ganz Unerhörtes, und wir redeten noch lange davon.
*
Wenn der Frühling kam, ging es uns besser. Der Vater ging mit den Buben zum Futtereinbringen, ich mußte die Kühe melken. Aber das war nicht so leicht, ich brauchte die Kraft beider Hände, um eine Zitze zu melken. Bevor nicht alle Kinder aus dem Haus und die Kleinen versorgt waren, durfte ich nicht zur Schule gehen. So kam ich immer zu spät. Der Lehrer hatte viel Verständnis, aber der Pfarrer nie. Der schimpfte mich jeden Tag, weil ich nicht zur Schulmesse kam. Er sagte, ich müsse eben früher aufstehen, meine Brüder kämen ja auch. Ich war sehr traurig, weil ich ja nichts dafür konnte.
Weil wir so fleißig waren, durften wir uns im Frühling etwas wünschen. Franz und Michl bekamen ein kleines Schafböcklein, es war im Winter spät geboren, und der Schäfer gab es dem Vater. Der Schäfer hatte wohl an die 400 Schafe, als er über unsere Wiesen zog. Hans durfte die Tauben behalten, die uns zugeflogen waren. Meine Schwester, die zwei Jahre jünger war, und ich wünschten uns kleine Entlein. Jeder war nun für sein Vieh zuständig. Die Entlein meiner Schwester bekamen zum Erkennen ihr Schwänzlein abgeschnitten. Jeder hat sein Vieh fleißig gefüttert, damit es größer und schöner wird als bei den anderen. Hasen, Katzen und einen Hund hatten wir auch, der war gut abgerichtet, und niemand hätte uns Kindern auch nur nahe kommen dürfen.
Oft mußten wir mit dem Vater in den Wald gehen, um die vom Schnee und Sturm abgebrochenen Äste zu sammeln. Der Vater versprach den Fleißigsten zwei Pfennige, den andern nur einen Pfennig. Wenn wir das Geld wirklich bekamen, was nicht immer so war, mußten wir uns Griffel oder Bleistifte kaufen. Übriges Geld war nie, auch Vater hatte kaum einmal etwas. Es konnte auch nicht anders sein, denn 30 Eier kosteten eine Mark, und wir hatten ja kaum etwas zu verkaufen, weil wir Kinder alles brauchten. Oft kam der Gerichtsvollzieher, weil der Vater die Steuer nicht bezahlen konnte. Dann mußten alle Kinder antreten, da ging er wieder fort.
Von den drei Entlein meiner Schwester wurde keines groß, sie sind alle in den Brunnen gefallen. Meine wurden groß und später von uns allen gegessen. Am schlimmsten war es mit dem Schafbock, der wurde schnell ausgewachsen und stark. Die Buben lernten ihm das Stoßen. Da stieß der Schafbock dann auch uns Kinder nieder, und das freute den Schafbock.
Einmal stand der Großvater vor dem offenen Scheunentor. Er hatte einen großen Holzprügel in der Hand und sagte zum Bock, komm nur her, dann schlag ich dich tot, aber dann sah er ein bißchen zur Seite, und schon hat ihn der Bock zum Tor hinausgestoßen. Eines Morgens, noch vor sechs, gingen drei Schneiderinnen an unserem Haus vorbei. Der Bock graste auf der Wiese. Als er die drei Weiber sah, konnte er es nicht lassen, lief hin und stieß alle drei zu Boden. Da lagen sie nun, die Nähmaschinen auf dem Rücken, ihr Handgepäck auf dem Boden verstreut, und schrien so laut, daß wir es im Hause hörten. Wenn eine aufstehen wollte, stieß der Bock sie wieder nieder. Da rannten die älteren drei Brüder los und führten den Bock heim. Je einer faßte ihn links und rechts an den Ohren, und der dritte faßte ihn am Schwanz. Sie waren sehr stolz auf ihren Bock, weil er so
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