Herrentier
soll ruhig noch schöner werden«, sagte Evelyn, ihren aufsteigenden Ärger niederringend. »Womit ich ganz zwanglos bei unserem Zoo angekommen wäre. Lassen sie mich ganz unverhohlen fragen, Frau Landgräfe: Was kann ich tun, um unseren Erweiterungsbau endlich voranzubringen?«
Gertrud Landgräfe verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich zurück. »Bringen Sie mir die notwendigen Unterlagen und ich werde Ihr Bauvorhaben mit einer gewissen Dringlichkeit behandeln.«
»Meine Mitarbeiterin, Frau Albrecht, hat den Anbau im Juli beantragt. Jetzt ist Oktober.«
»Sie kennen doch die Situation«, sprang Jeanette ihr bei. »Bei dem Brand im Juni sind mehrere Aktenschränke samt Unterlagen stark beschädigt worden. Wir haben einen Teil der Papiere schlichtweg nicht mehr und wir würden Monate brauchen, um Kopien und Zweitausfertigungen einzuholen. Uns läuft die Zeit davon.«
»Das ist bedauerlich«, sagte Gertrud Landgräfe. Eine grünlich schimmernde Haarsträhne hatte sich an ihrem Augenlid verfangen. Sie wischte sie kaltherzig weg. »Überlegen Sie mal: Ich gebe Bauvorhaben frei, für die nicht alle Unterlagen vorliegen. Und das bei dieser Dimension. Ich komme in Teufels Küche. Das zieht Kreise. Am Ende heißt es sogar noch, dass ich bestechlich bin.«
»Also, da muss ich Gertrud recht geben«, schaltete sich Kramer ein. »Natürlich kann niemand an den Vorschriften vorbei handeln. Ich finde, du verhältst dich völlig korrekt.«
Gertrud Landgräfe stand auf und lief eine Entschuldigung murmelnd in Richtung Toiletten. Eine pinkfarbene Haarsträhne hing in ihren reichlich mit Tusche überzogenen Wimpern fest.
»Musst du mir in den Rücken fallen?«, fuhr Evelyn Kramer an. »Ich dachte, wir arbeiten an der gleichen Sache!«
»Jetzt sei doch nicht so furchtbar angespannt. Wenn du das alte Schlachtschiff entern willst, dann musst du ein bisschen sensibler sein. Pack sie bei der Ehre«, sagte Kramer. »Du musst ihr – wie soll ich sagen – entgegenkommen.«
»Vorsicht, heiß und fettig! Entschuldigung: kalorienarm, wollte ich sagen«, rief eine laute Stimme hinter Kramer. Das Essen kam. »Wer war der gekochte Hecht?« Kramer wies auf den leeren Platz der Bauamtschefin. Die Teller wurden von einem jener ungemein gesprächigen Kellner aufgetragen, für die das Lokal bekannt war. Die junge Bedienung von vorhin blieb unsichtbar. Kramer bekam seinen Teller und roch am Dorschfilet.
»Ist das auch wirklich frisch?«, fragte er missmutig.
Der Kellner beugte sich über Kramers Teller und betrachtete das Essen. Filet, goldbraun, Wildreis, Spinat, eine Scheibe Zitrone.
»Da!«, sagte der Kellner. Kramer zuckte zusammen. »Haben Sie es gesehen?«
Kramer starrte auf seinen Teller. »Was denn?«
Der Kellner zeigte auf das Filet. »Eben hat es gezuckt!« Er ahmte Kramers aufgerissene Augen nach und verließ lachend den Tisch. Gertrud Landgräfe kam von der Toilette zurück.
Das Essen verlief mehr oder weniger schweigend. Jeanette hatte sich Unmengen von Salz auf ihr Schweinemedaillon gestreut, Gertrud Landgräfe stocherte in ihrem Hecht. Evelyn war zufrieden mit ihrer Scholle. Ein Prachtexemplar. Scholle aß sie am liebsten im Herbst. Die Maischolle, die noch ausgemergelt ist vom langen Winter, hielt sie immer schon für völlig überschätzt. Erst im Sommer und Frühherbst sind die Fische wieder richtig zu Kräften gekommen.
»Es handelt sich, liebe Gertrud, ja nicht um irgendein Bauwerk«, nahm Kramer das Gespräch wieder auf. »Es geht um den Rostocker Zoo mit mehr als einer halben Million Besuchern im Jahr. Ein touristischer Anziehungspunkt. Ein Alleinstellungsmerkmal. Manche Urlauber kommen überhaupt nur wegen des Zoos in die Stadt. Ich finde, dass wir uns gar nicht so sehr in baurechtlichen Angelegenheiten bewegen, sondern in der Politik.«
»Was soll daran politisch sein?«, fragte die Bauamtsleiterin.
»Wie soll ich sagen: Eine weise politisch motivierte Entscheidung zur rechten Zeit kann sich rundum positiv auswirken. Für die Stadt, für ihre Bürger, für die Karriere …«
»Willst du mich etwa erpressen? Weil du mit im Bauausschuss sitzt?« Die Landgräfe verschränkte wieder die Arme und machte ein trotziges Gesicht.
»Apropos«, Kramer kam langsam in Fahrt, »der Zoo ist finanziell überaus gut ausgestattet, das kann ich dir als langjähriger Finanzberater bestätigen. Gibt es eine bessere Bürgschaft? Für Rostock, für den Zoo, für jeden Einzelnen?«
»Außerdem ist ja bekannt, dass die
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