Herrin der Dunkelheit
»zumindest die Achtelnoten und die noch kürzeren. Aber du hast recht. Musik kann fliegen – sie ist reine Befreiung – und sie hat die Macht, auch andere Dinge zu befreien und fliegen und wirbeln zu lassen.«
Er nickte. »Ich wünschte, du würdest auch die Töne dieses Klaviers befreien und sie fliegen und wirbeln lassen, wenn du übst«, sagte er mit einem Blick auf das elektronische Instrument, »anstatt sie in deinem Kopfhörer gefangen zu halten.«
»Du würdest der einzige sein, der Freude daran hat«, erklärte sie ihm.
»Außer Gun und Saul«, sagte er.
»Ihre Wohnungen liegen nicht an diesem Luftschacht. Außerdem sind meine Tonleitern und Arpeggios selbst dir zuviel geworden.«
»Da bin ich nicht so sicher.« Und dann, scherzhaft: »Vielleicht klingt das Ding zu scheppernd, um einen Zauber hervorzurufen.«
»Ich hasse dieses Wort«, sagte sie. »Und außerdem hast du unrecht. Auch scheppernde Klänge können einen Zauber bewirken. Denke an Papagenos Glocken – es gibt mehr als nur eine Art von Musik in der Zauberflöte.«
Sie aßen Toast und Eier und tranken Fruchtsaft. Franz berichtete Cal von seinem Entschluss, das Manuskript von Türme des Verrats so, wie es war, abzuschicken. »Also werden meine Leser nicht erfahren, was für ein Geräusch eine Aktenvernichtungsmaschine macht – na und? Ich habe diese Folge selbst auf dem Bildschirm gesehen, aber als der satanische Magier die Runenschriften in die Maschine schob, ließen sie sie qualmen – und das ist natürlich Unsinn.«
»Wie schön, dass du zu dieser Erkenntnis gekommen bist«, sagte sie scharf. »Du machst dir viel zu viel Mühe, dieses alberne Programm zu rationalisieren.« Ihre Stimme und ihr Gesichtsausdruck wurden weicher. »Trotzdem – ich weiß nicht recht – es liegt wohl daran, dass du immer versuchst, dein Bestes zu geben, ganz egal was du tust, und deshalb sehe ich dich als einen Profi.« Sie lächelte.
Er hatte wieder einen Anflug von schlechtem Gewissen, konnte ihn jedoch leicht unterdrücken.
Während sie ihm Kaffee eingoss, sagte er: »Ich habe eine wunderbare Idee. Lass uns heute auf Corona Heights steigen. Ich denke, dass man von dort oben aus einen herrlichen Ausblick auf die City und die Innere Bay hat. Wir könnten den größten Teil der Strecke mit der Muni fahren und brauchen sicher nicht viel zu klettern.«
»Du vergisst, dass ich für das Konzert morgen abend üben muss und außerdem darf ich meine Hände nicht gefährden«, sagte sie mit leichtem Vorwurf. »Aber lass dich dadurch nicht aufhalten«, setzte sie mit einem um Verzeihung bittenden Lächeln hinzu. »Warum fragst du nicht Gun oder Saul, ob sie mitgehen wollen? Ich glaube, sie haben heute frei. Gun ist ein guter Kletterer. Wo sind eigentlich diese Corona Heights?«
Er sagte es ihr und erinnerte sich, dass ihr Interesse an San Francisco weder so neu noch so engagiert war wie das seine – er besaß den Eifer eines Konvertiten.
»Das muss in der Nähe des Buena Vista Parks sein«, sagte Cal. »Verlaufe dich nur nicht in diese Gegend. Es sind da kürzlich ein paar Morde gewesen. Im Zusammengang mit Drogen.«
»Ich habe nicht die geringste Absicht dazu«, sagte er. »Aber vielleicht machst du dir etwas zu große Sorgen. Es ist in den letzten Jahren sehr viel ruhiger geworden. Neulich habe ich dort diese beiden Bücher gekauft, in einem dieser herrlichen Trödelläden.«
»Ach ja, du wolltest sie mir einmal zeigen«, sagte sie.
Er reichte ihr den Band, der aufgeschlagen war und sagte: »Es ist vielleicht das faszinierendste pseudowissenschaftliche Buch, das ich jemals gesehen habe – eine Mischung von echten Erkenntnissen und Einsichten und ausgesprochenem Blödsinn. Keine Jahresangabe im Impressum, aber ich denke, dass es so um 1900 herum gedruckt worden ist.«
»Megapolisomancy …«, las sie den Titel des Buches. »Und was soll das sein? Eine Zukunftsvoraussage – für Städte?«
»Für große Städte«, sagte er nickend.
»Ja, natürlich, das Mega.«
»Eine Voraussage der Zukunft und aller möglichen anderen Dinge«, fuhr er fort. »Anscheinend auch magischer Dinge. Obwohl de Castries es eine ›Neue Wissenschaft‹ nennt, als ob er ein zweiter Galilei wäre. Auf jeden Fall ist dieser de Castries äußerst besorgt über die ›riesigen Mengen‹ von Stahl und Papier, die in diesen großen Städten angehäuft werden. Und von Kerosin, er schreibt ›Kohleöl‹, und natürlichem Gas. Und auch von Elektrizität, ob du es glaubst oder nicht
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