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Herrin der Dunkelheit

Herrin der Dunkelheit

Titel: Herrin der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz Leiber
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wieder in die Realität zurückgeholt hatte. Anfangs war ihm der Turm unsagbar kitschig und billig vorgekommen, ein Eindringling, schlimmer als die Hochhäuser in der ehemals romantischsten aller Städte, eine obszöne Personifizierung der aufdringlichen Welt von Verkauf und Werbung – selbst mit seinen großen rot-weißen Gliedern gegen den blauen Himmel (und jetzt aus dem Nebel aufragend) war er eine grobe Nachahmung der amerikanischen Flagge in ihren schlechtesten Aspekten: Barbierpfahl-Streifen: fett, grell, mit reglementierten Sternen. Doch dann hatte der Turm mit seinen blinkenden Lichtern ihn – gegen seinen Willen – zu beeindrucken begonnen; so viele Lichter! Neunzehn Stück hatte er gezählt, dreizehn, die regelmäßig brannten, und sechs Blinker. Und dann hatte der Turm sein Interesse allmählich und unmerklich in die anderen Fernen der City-Landschaft gelenkt, und auf die wirklichen Sterne, die so weit entfernt am Himmel blinkten, und in glücklichen Nächten auch auf den Mond, bis er sich eines Tages wieder leidenschaftlich für alles zu interessieren begann, was um ihn herum vorging. Und dieser Prozess hatte bis heute angedauert, dauerte noch immer an, so dass Saul ihm – erst vor wenigen Tagen – sagte: »Ich weiß nicht, ob es gut ist, jede neue Realität willkommen zu heißen. Du könntest eines Tages auf einen faulen Kunden treffen.«



»Eine schöne Auffassung für einen Pfleger in der psychiatrischen Abteilung eines Krankenhauses«, hatte Gunnar gesagt, und Franz hatte sofort eingeworfen: »Ist doch kein Wunder. Konzentrationslager. Pestbazillen.«
    »So etwas habe ich nicht gemeint«, hatte Saul gesagt. »Ich glaube, ich habe mehr an die Sachen gedacht, die meinen Jungens im Krankenhaus so passieren.«
    »Aber das sind doch nur Halluzinationen, Projektionen, Archetypen, und so weiter, oder?« hatte Franz etwas verwundert bemerkt. »Teile einer inneren Realität natürlich.«
    »Manchmal bin ich da nicht so sicher«, hatte Saul nachdenklich gesagt. »Wer weiß schon, was Wirklichkeit ist und was nicht, wenn ein Verrückter behauptet, er habe gerade einen Geist gesehen? Innere oder äußere Realität? Wer kann das sagen? Was würdest du tun, Gunnar, wenn einer deiner Computer Dinge ausdruckt, die er nicht ausdrucken sollte?«
    »Ich würde annehmen, dass er überhitzt ist«, hatte Gunnar mit Überzeugung geantwortet. »Ihr müsst daran denken, dass meine Computer normale Menschen sind, keine Verrückten und Psychopathen wie deine Leute.«
    »Normal – was ist das?« hatte Saul erwidert.
    Franz hatte lächelnd von einem seiner Freunde zum anderen geblickt, die zwei Apartments in dem zwischen dem seinen und Cals gelegenen Stockwerk bewohnten. Cal hatte auch gelächelt, aber nicht so wie er.
    Jetzt sah er wieder aus dem Fenster, in die sechs Stockwerke tiefe Schlucht, die an Cals Fenster vorbeiführte – ein enger Schacht zwischen diesem Gebäude und dem nächsten, dessen Flachdach auf gleicher Höhe mit seinem Fenster lag. Unmittelbar hinter ihm, den Blick zu beiden Seiten wie ein Rahmen einfassend, waren die knochenweißen, regenfleckigen Rückfronten zweier Hochhäuser.
    Sein Ausblick war der schmale Spalt zwischen diesen Hochhäusern, doch er war breit genug, um all die Realität zu sehen, die er benötigte, um seinen Kontakt mit der Welt aufrechtzuerhalten. Und wenn er mehr wollte, konnte er jederzeit zwei Stockwerke höher auf das Dach steigen, was er in diesen Tagen und Nächten häufig tat.
    Von diesem Gebäude aus, das am unteren Hang des Nob Hills lag, erstreckte sich das Meer der Dächer bis in die Tiefe des Tals, und dann an der Flanke eines anderen Hügels hinauf, in der Ferne perspektivisch winzig, bis zu der Nebelbank, die jetzt den dunkelgrünen Hang von Sutro Crest und die langen Beine des Fernsehturms verhüllte. Doch in mittlerer Entfernung erhob sich eine Formation, die wie ein geduckt sitzendes Tier wirkte, fahlbraun im Licht der Morgensonne, aus dem Meer der Dächer. Auf der Karte wurde sie als Corona Heights bezeichnet. Sie hatte seit einigen Wochen Franz’ Neugier erregt. Jetzt richtete er die Objektive seines kleinen Feldstechers auf die kahlen Flanken und den krummen Rücken des Berges, der sich scharf gegen den weißen Nebel abhob. Er fragte sich, warum er noch nicht erschlossen und bebaut worden war. Große Städte besaßen häufig solche seltsamen Fremdkörper. Dieser war eine Erinnerung an das Erdbeben von 1906, sagte er sich und lächelte über seine

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