Herrscher der Eisenzeit
dass sie richtig entscheiden werden. Sie ist zu mächtig, als dass sie anders entscheiden könnten. Sie kann warten. Sie hat Zeit.
Die Abgesandten offensichtlich nicht. Ihnen ist klar, was ihnen blüht, wenn sie unverrichteter Dinge zu ihrem Herrn zurückkehren. Ein letztes Nicken, dann wenden sie sich ihr zu. Für den Bruchteil eines Augenblicks zögern sie noch, dann sinken sie auf die Knie, senken kurz den Kopf und schauen dann mit ausdruckslosen Augen zu ihr auf.
Der Älteste hält ihr auf offenen Händen einen in Leinwand eingeschlagenen runden Gegenstand entgegen. Wie es die Sitte verlangt, senken sie den Blick, als sie das Geschenk gnädig entgegennimmt. Sie schält den Stoff von dem schweren Gegenstand – und kann sich gerade noch ein lautes Lachen verkneifen. Ein massiver goldenerHalsreifen, mit großen goldenen Kugeln als Abschluss, die von filigran gearbeiteten geflügelten Pferden gehalten werden. Ein Zeichen der Fürstenwürde. Sie haben sich gut über die Sitten ihres Volkes informiert, diese Gesandten.
Aber nicht gut genug. Dieser Halsreifen ist für einen Mann bestimmt.
Nun, sie sollen schauen und lernen.
Sie winkt einen ihrer Krieger heran und übergibt ihm das Geschenk. Der Mann versteht ohne Worte. Mit kräftigen Händen biegt er den Reifen so weit auf, dass er ihn seiner Herrin um den Hals legen kann. Sie spürt sofort das unglaubliche Gewicht des Metalls, dessen Kühle durch den Stoff ihres Kleides dringt. Und sie bemerkt, dass die Augen der vor ihr knienden Männer nicht mehr auf den Boden gerichtet sind. Sie starren sie an, starren auf den Halsreif und kämpfen erneut darum, die Fassung nicht zu verlieren. Und sie sind stark genug. Sie erfüllen eine Pflicht.
Nur die Augen der Männer verraten ihr, dass sie hassen, was sie tun müssen. Sie widersteht der Versuchung, die Gesandten länger vor ihr knien zu lassen, als es normalerweise üblich wäre und bedeutet ihnen mit einer Handbewegung, sich zu erheben.
Die Männer in den fremdartigen Gewändern beeilen sich, dieser Aufforderung nachzukommen. Einer von ihnen wendet sich um und geht auf den Ausgang zu, vorbei an den Wachen, die durch ihre hohen bronzenen Helme noch riesiger erscheinen, als sie ohnehin schon sind. Die Wachen verziehen keine Miene, als er kurz in dem hohen Durchgang stehen bleibt, um den Trägern zu winken. Diese nehmen ihre schwere Last auf und folgen ihm in den Saal, in dem die Herrin dieser Region wartet.
Den anderen Gesandten ist die Erleichterung über das Ende der peinlichen Stille anzusehen. Sie treten zur Seite, um eine Gasse für die Träger frei zu machen.
Sie lehnt sich neugierig nach vorn. Natürlich, jetzt kommt die Übergabe der eigentlichen Geschenke, doch die Anzahl der großen und offenbar schweren Bündel überrascht sie doch. Ächzend setzendie Männer die schweren Packen ab und beginnen, die Umwicklung zu entfernen. Sie spürt die lauernden Blicke der Fremden. Die letzten Stoffbahnen fallen, und große, zum Teil mit reichen Reliefen verzierte Bronzestücke mit eigenartiger Form und undefinierbarem Zweck kommen zum Vorschein.
Der Anführer der Gesandtschaft bemerkt ihren verständnislosen Gesichtsausdruck. Schnell tritt er vor und gibt ein paar kurze Anweisungen. Mit einem unterdrückten Stöhnen bücken sich die Träger, nehmen die am Boden liegenden Teile wieder auf und schieben sie aufrecht zu einer Form zusammen.
Ihre Augen werden weit. Ein Weinkrater! Aber was für einer! Sie besitzt für ihre Empfänge selbst zwei, die sie bis jetzt für recht ansehnlich gehalten hat. Doch sie sind nichts gegen den, der hier für sie zusammengehalten wird. Dieser hier ist riesig! Größer als sie selbst!
Sie kämpft gegen das Verlangen aufzustehen und sich neben den Weinkrater zu stellen. Doch sie beherrscht sich. Sie hat Angst davor, neben diesem mächtigen Gefäß klein zu wirken, und weiß doch gleichzeitig, dass diese Angst lächerlich ist. Sie ist groß, und dieses Geschenk macht sie noch größer, noch bedeutender.
Und vor ihrem inneren Auge erscheinen die Bilder von ihrem nächsten Empfang …
Anfang des Jahres 1953 macht der Archäologe René Joffroy in Frankreich, genauer in Vix, Burgund, am Mont Lassois, eine sensationelle Entdeckung. Er findet eine unberührte, überreich gefüllte Grabkammer, welche nach ersten Untersuchungen auf das Ende des 6., Anfang des 5. vorchristlichen Jahrhunderts datiert werden kann. Dabei entdeckte er den 42 Meter im Durchmesser messenden Grabhügel eher zufällig auf
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