Herrscher der Eisenzeit
Schreie. Demetros wartet, doch nichts passiert. Dann hört er Gemurmel. Ganz vorsichtig öffnet er die Augen.
Um die Wagen herum liegen etwa 15 tote Männer. Sechs davon sind seine eigenen, die anderen gehören zu den Angreifern. Aber wie …?
Dann sieht er sie. Sie stehen da, auf ihre fast mannshohen Schilde gestützt, unterhalten sich in kehligen Lauten oder sehen ihn einfach nur an. Einer kniet neben einem von Demetros’ Männern, der verletzt auf dem Boden liegt.
Demetros schreckt zusammen, als ein großer – wirklich großer! – Krieger der Fremden auf ihn zutritt. Der sieht die Angst in Demetros’ Augen und hebt schnell die Hand zu einer beruhigenden Geste. Demetros schaut ihn verständnislos an, dann begreift er: Die toten Angreifer sind in schmutzige, zum Teil zerrissene Hemden gekleidet. Ihre Waffen sind grobe, selbst gebaute Lanzen, Steinschleudern. Hier und da liegen vereinzelt Pfeilköcher und Bogen herum. Die Krieger, die hier vor ihm stehen, tragen dagegen wertvolle Schwerter und Dolche, Waffen für den Kampf Mann gegen Mann. Ihre Kleidung ist grellbunt, wirkt gepflegt und sauber. Den Kopf desKriegers, der jetzt direkt vor Demetros steht, bedeckt ein metallener Helm mit seitlich angesetzten großen Hörnern. Und seine Augen sehen Demetros keineswegs unfreundlich an.
Er nimmt seinen ganzen Mut zusammen. »Danke!«, sagt er, in dem er auf die am Boden liegenden Räuber zeigt. Dann legt er seine Hand auf die Brust. »Demetros«, sagt er.
Sein Gegenüber zeigt auch auf die toten Männer und sagt dabei ein Wort, das bei Demetros nur als Gurgeln ankommt, dessen Tonfall jedoch keinen Zweifel an der mangelnden Wertschätzung gegenüber den toten Gegnern lässt. Dann legt er ebenfalls die Hand auf die Brust. »Bolg.«
»Bolg«, wiederholt Demetros.
Der andere nickt. Dann hebt er den rechten Arm und deutet einen Kreis an, der sowohl Demetros als auch seine umstehenden Krieger einschließt. Dann deutet er in die Richtung, in die Demetros’ Reise weitergegangen wäre. Noch einmal zeigt er auf alle Männer, dieses Mal schließt er auch die Wagen mit den Weinamphoren ein. Jetzt hat Demetros verstanden. Die einsame Reise seiner kleinen Gruppe hat ein Ende gefunden. Die fremden Krieger werden sie leiten. Demetros macht erst die umfassende Bewegung des Anführers, zeigt dann auch in die Richtung, hebt fragend die Schultern und kehrt die Handflächen nach oben. »Wohin?«
Sein Gegenüber versteht. Er wiederholt die Bewegung und sagt dann ein Wort, das in Demetros Ohren so ähnlich klingt wie Kelti …
Fragen über Fragen
Ob die ersten Begegnungen griechischer Händler mit den Kelten tatsächlich so verlaufen sind, sei einmal dahingestellt. Belegt ist jedoch der Name des Volkes … Oder doch nicht …?
Historisch berichtet wird über die Kelten relativ spät. Um 700 v. Chr. spricht der griechische Dichter Hesiod von den »Hyperboreern«, dem »unbekannten Volk jenseits des Nordwinds« (womit er vermutlich die Alpen meint). Um 450 v. Chr., ca. 90 Jahre nach der fiktiven Begegnung von Demetros, dem Händler aus Massalia – dem heutigen Marseille – und Bolg, dem keltischen Krieger, berichtete der griechische Reisende und Geschichtsschreiber Herodot als Erster von den Kelten, die hinter den Säulen des Herkules (der Meeresenge von Gibraltar) leben. Zu diesem Zeitpunkt waren die Kelten für den externen Beobachter (in diesem Fall Herodot) also bereits als Volk erkennbar, das sich offensichtlich auch selbst so bezeichnete. Und wenn es das tat, dann sicher nicht erst ab dem Tag, an dem Herodot bei ihnen auftauchte. Stellt sich die Frage: Ab wann nannten sie sich »Kelten«?
Die Kelten hatten keine Schrift und haben daher ihre Geschichte nicht schriftlich niedergelegt. Schriftliche Berichte über Begegnungen mit Kelten sind von den griechischen und römischen Autoren Herodot und Plinius dem Älteren überliefert. Allerdings fließen die Erkenntnisse anderer Wissenschaften, wie Archäologie, Linguistik und vergleichende Völkerkunde in unser Wissen über die Kelten ein. Daraus ergeben sich Theorien mit einem hohen Wahrscheinlichkeitsgrad – mit allen Defiziten.
Wissen wir denn, ob uns die Archäologie ziemlich viel oder eher relativ wenig über die Lebensweise dieses Volkes eröffnet hat? Wie viel wurde von Grabräubern und Schatzjägern zum Teil unwiederbringlich zerstört?
Und verursacht nicht der Drang, alles zu systematisieren, Zeitepochen und Kulturkreisen zuzuordnen, ebenfalls Verständnisprobleme und
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