Herz im Spiel (German Edition)
in der Lage sein.
Als sie Reading erreichten, war es bereits stockdunkel. Miss Tamberlay lebte in der Nähe des Universitätsgeländes bei einer Tante, aber Marianne war nur ein- oder zweimal mit Bernie dort gewesen und konnte nur hoffen, dass sie das Haus wiederfand. In der Dunkelheit. Mitten im Winter. Rickers hoffte das ebenfalls.
„Versuchen Sie es hier“, rief sie ihm zweimal zu, ehe sie Mrs Curtains Haus entdeckten.
Nachdem Rickers angeklopft und Mrs Curtain ihm bestätigt hatte, sie seien hier richtig, stieg Marianne aus dem Wagen und erblickte Rachel, die eben die Treppe herunterkam. „Miss Marianne! Was in aller Welt tun Sie hier?“, rief ihre Freundin aus.
„Ich habe Ihren Brief erhalten“, sagte Marianne. „Mr Brewster ist noch nicht zurück?“
„Nein, aber ich wollte auch nicht, dass Sie sich den ganzen Weg bis nach Reading bemühen. Wie ich schon sagte, bin ich wahrscheinlich nur töricht und übernervös“, meinte Rachel.
„Das glaube ich nicht. Mr Desmond ist ebenfalls verschwunden.“
„Wie bitte?“
Marianne berichtete ihr von dem nächtlichen Brief und Desmonds Aufbruch unmittelbar danach. „Das war vor mehr als einer Woche. Seitdem haben wir nichts mehr von Mr Desmond gehört. Dann traf heute Morgen Mrs Desmond, seine Mutter, in Kingsbrook ein. Auch sie hat keine Nachricht von ihrem Sohn, und sie hatte ganz sicher damit gerechnet, er werde Kontakt zu ihr aufnehmen. Ich glaube, es besteht eine Verbindung zwischen Mr Desmonds und Bernies mysteriösem Verschwinden“, erklärte Marianne und konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme aufgeregt klang.
Während sie sprach, hatte Rachel sie in den vorderen Salon ihrer Tante geführt. Nachdem Marianne geendet hatte, fasste sie Rachels Hand, und die beiden sanken dicht nebeneinander auf das Sofa.
„Ich verstehe nicht, wie die beiden Umstände miteinander in Verbindung stehen sollen“, meinteRachel. „Bernies Reise war alles andere als geheimnisvoll. Er hatte einen einfachen Auftrag, und er hat mich vorgewarnt, er könnte ein paar Tage aufgehalten werden. Natürlich habe ich nicht damit gerechnet, dass er zwei Wochen fortbleiben würde. Und ich glaube auch nicht, dass er an so etwas gedacht hat. Er ist nach London gefahren, um ein Darlehen für seinen Vater zu besorgen. Mr Brewster senior hält sich in Liverpool auf, ich glaube, um eine Ladung Biberpelze aufzukaufen.“
„Und er hat bei seiner Abreise Desmond nicht erwähnt?“
„Seine Angelegenheit hatte nichts mit der Universität zu tun oder mit seiner Freundschaft zu Mr Desmond und Ihnen.“
Marianne gab Rachels Hand frei und blickte sich im Zimmer um. „Dann ist Mr Brewster seit zwei Wochen fort, nicht erst seit einer?“
„Zwei Wochen“, bestätigte Rachel.
„Aber er hat Ihnen nicht geschrieben. Finden Sie das nicht eigenartig? Ich hätte nicht geglaubt, dass er vierzehn Tage übersteht, ohne Ihnen zu schreiben. Tatsächlich denke ich nicht, dass er dazu überhaupt in der Lage wäre .“
„Der Meinung war ich bisher auch“, sagte Rachel. Ihre Stimme bebte, und Marianne sah, dass hinter den dicken Brillengläsern Tränen in ihren Augen schimmerten. „Ich dachte, Bernie würde mich nie vergessen.“
„Nein, das würde er nicht, gewiss nicht“, meinte Marianne nachdenklich. „Genauso wenig, wie Mr Desmond ausgerechnet jetzt verreisen würde, ohne seine Mutter zu benachrichtigen.“
„Dann hatte ich recht, stimmt’s? Ihm – den beiden – ist etwas zugestoßen“, rief Rachel.
„Wir wissen doch überhaupt nichts“, erklärte Marianne. „Wir wissen nicht einmal, ob Bernie seinen Kredit bekommen hat oder nicht.“
„Das können wir herausfinden“, entgegnete Rachel. Sie klang wie jemand, der sich an einen Strohhalm klammert. „Bernie hat mir den Namen der Bank gegeben …“ Rachel erhob sich und begann, in den Schubladen des kleinen Sekretärs zu kramen, der neben der Tür des kleinen Salons stand. Schon kurz darauf zog sie ein Blatt Papier aus einem der Fächer. „Die Londoner Nationalbank“, verkündete sie.
Marianne streckte die Hand aus, und als Rachel ihr die Notiz reichte, studierte sie die drei Worte, die darauf standen, aufmerksam.
„Sehr gut“, meinte sie schließlich. „Dann werde ich einfach zur Nationalbank gehen und sehen, was diese Leute mir sagen können.“
„Sie wollen nach London fahren? Ich dachte, wir könnten dorthin schreiben“, schlug Rachel schüchtern vor.
„Auf einen Brief möchte ich mich nicht verlassen. Ich bin
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