Hetzer & Kruse 01 - SchattenHaut
von ihm weiß. Aber vielleicht verheimlicht uns Mica ja auch etwas, um ihren Bruder zu schützen. Sie könnte von seiner Existenz wissen und uns nichts davon sagen. Auf jeden Fall sparen wir uns Zeit.“
„Gute Idee, Wolf, auch wenn ich heute eigentlich keine Lust mehr habe, durch den Schnee zu stapfen und die Proben ins Labor zu bringen. Ich mache es gleich morgen. Dann können sie den Test noch ansetzen, das Ergebnis hätten wir übermorgen. Genug genetisches Material von Mica kann ich auftreiben. Da sie ab und zu bei ihren Leichen übernachtet, hat sie Bürste und Zahnbürste hier. Vielleicht finde ich auch noch ein verschnupftes Taschentuch oder eine Kaffeetasse. Ich muss nur aufpassen, dass sie davon nichts mitbekommt. Sonst ist hier der Teufel los.“
„Schon klar. Sag mal, arbeiten die vom Labor denn übermorgen noch?“
„Ja, bis mittags. Könnte noch haarscharf klappen. Ich lasse das Ergebnis ins Institut faxen.“
„Super, rufst du mich dann zu Hause an?“
„Eigentlich habe ich Heiligabend frei, aber ich wohne nur ein paar Straßen weiter. Wenn du mich lieb bittest, schaue ich im Institut noch mal vorbei. Das geht aber erst abends, wenn meine Frau zwischen sechs und sieben mit ihrer Mutter in der Christmette ist. Dazu habe ich sowieso keine Lust. Das kostet dich aber eine Flasche Whisky.“
„Mensch, das ist toll. Was für einen Whisky trinkst du denn?“
„Pech für dich. Ich trinke nur Glenmorangie Oloroso.“
„Das ist mir egal, wir wollen weiterkommen. Vielleicht erreichen wir zwischen den Feiertagen etwas. Der Mistkerl ist immer noch unerkannt und ich fürchte, er hat Micas Vater in seiner Gewalt.“
„Ich tue, was ich kann. Auf jeden Fall wünsche ich dir einen ruhigen letzten Arbeitstag morgen und - Nadja ruft gerade von hinten – sie wünscht dir ein frohes Weihnachtsfest. Wir sprechen uns ja noch.“
Hetzer legte auf und streckte sich. Er dachte daran, dass er erst einmal Heiligabend hinter sich bringen musste, so oder so. Und er beschloss, auf jeden Fall morgen einzukaufen. Heiligabend war nur Bereitschaftsdienst. Hoffentlich kam es zu keinem Einsatz. Er freute sich auf freie Tage vor dem Ofen mit Gaga und den Katern. Was wohl sein Emil machte? Ob er noch lebte? Wenn er ehrlich war, glaubte er nicht daran. Armer, treuer Emil. Das hatte er nicht verdient. Auch dafür jagte er den Mörder. Er hatte Emil zu einem Opfer gemacht, weil Wolf hinter ihm her war.
Ottos Weihnachten
Otto saß in seiner Zelle und starrte auf die Uhr. Die immerhin hat er ihm gelassen. Es war Heiligabend, 16 Uhr. Zeit der Bescherungen in den Familien. Er hatte auch einmal eine Familie besessen. Das war lange her.
Jetzt saß er hier, allein, verstümmelt und gefangen genommen von einem Unbekannten, der nicht einmal mit ihm sprach. Er setzte sich jetzt nicht mehr zur Wehr. Anfangs hatte er noch versucht, den Fremden zu überwältigen, aber der hatte einen Elektroschocker dabei. Dieses Gefühl wollte er nicht noch mal erleben.
Er hörte Schritte auf der Treppe. Das war ungewöhnlich. Normalerweise bekam er sein Essen immer erst gegen sechs. Gab es heute doch eine Ausnahme, weil Weihnachten war?
Die Tür ging auf. Der Duft von Linsensuppe drang in seine Nase. Schon wieder Linsensuppe. Am Heiligen Abend? Na ja, wenigstens musste er nicht hungern. Er nahm den Löffel in die Hand und drehte seinem Peiniger den Rücken zu.
„Du wirst bald frei sein.“
Otto war verwirrt. Plötzlich sprach der Mann mit ihm.
„Und doch wirst du nie wieder frei sein. So, wie ich, – Vater. Bis heute. Aber heute wird alles anders werden.“
Mit diesen Worten fiel die Tür ins Schloss. Der Schlüssel wurde herumgedreht. Zweimal. Dann war Stille. Jedoch nicht in Otto. In ihm tobte ein Meer von Fragen und das Unverständnis schrie lauthals in seinen Gedanken.
Vater, er hatte Vater gesagt! Dabei hatte er gar keinen Sohn.
Heiligabend 2010
Seppi hatte recht gehabt. Am 23. Dezember begann es zunächst zu regnen, dafür hatte ein kurzfristiger Temperaturanstieg gesorgt. Später war der Regen in Schnee übergegangen und sämtliche Autos waren mit einer Schicht wie aus Zuckerguss überzogen. Hetzer machte gegen 14 Uhr Feierabend und fuhr auf dem Weg nach Hause an mehreren Supermärkten vorbei. Als er mit seiner Beute hangaufwärts schlidderte, war er froh, dass ihn nahezu nichts und niemand mehr dazu bringen konnte, den Berg wieder zu verlassen – es sei denn, ein neues Verbrechen geschah. Und das wollte er nicht hoffen. Es war
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