Hexen: Vier historische Romane (German Edition)
versetzte ihnen einen noch empfindlicheren Hieb: „Natürlich werden Frau von Tornle und ich die Tür aufbrechen und ein neues Schloss einsetzen lassen. Nur wird sich das noch hinziehen, da wir dazu die Erlaubnis unseres Feudalherrn einholen müssen, und ehe er soweit genesen ist, dass ich ihm diese hässliche Geschichte vortragen kann, werden Wochen vergehen.“
Während dieser Erklärung waren die Gesichter der Trunkenbolde lang geworden, und sie wurden noch länger, als Herr von Kahl fortfuhr: „Wenn ihr also auf eure Trinkfeiern nicht verzichten könnt, müsst ihr euch nunmehr, wie gestern Abend, in einem Wirtshaus euren Rausch besorgen, und da ihr dazu in eure eigenen Börsen greifen müsst, werden sie bald ebenso leer sein wie unsere nahezu ausgesaugte Gutskasse.“ Er trat zur Tür, verhielt dort seinen Schritt und erkundigte sich nach einer halben Kehrtwendung: „Interessiert sich denn jemand für das Befinden unseres Herrn?“
Einige nickten und andere ereiferten sich: „Sicher doch.“
„Natürlich.“
„Wie geht es unserem Herrn?“
Darauf versetzte Herr von Kahl ihnen kühl: „Dachte ich mir doch, auf einmal herrscht Interesse.“
Erst nach diesem ausgespielten Trumpf verließ er endgültig das Haus.
Ein beeindruckender Auftritt mit durchschlagender Wirkung. Alle Zechkumpanen schienen schlagartig ihre Stimme verloren zu haben und um einige Zoll geschrumpft zu sein.
Für wie lange?
Z urück zu meiner eigentlichen Aufgabe. Nach dem Abendbrot teilte mir Herr von Kahl mit, der Baron wirke zwar ein wenig frischer, sei aber noch immer recht teilnahmslos. Außer mit ‚ja’, ‚nein’ oder mal einem winzigen Lächeln, würde er auf die vielen reizenden Worte seines Sohnes kaum reagieren. Und von den Lakaien, die ihn mit ungeschickten Händen körperlich versorgten, wie Bettpfanne unterschieben, ihn waschen, rasieren und frisch betten, nehme er klaglos so manche Grobheit hin.
„Dann dürfen wir erst recht nicht ungeduldig werden“, mahnte ich Herrn von Kahl, „er ist eben noch nicht so weit. Der größte Fehler wäre, ihm jetzt Speisen aufdrängen zu wollen. Sagt das bitte auch seinem Sohn.“
„Nicht nötig, Frau von Tornle, das hat der junge Herr selbst erkannt.“
Diese Nachricht weckte neuerliche Sorgen in mir. Der Appetit des Barons müsste jetzt intensiver angeregt werden, doch dazu reichte das Angebot in unserem Garten nicht aus. Zum Glück hatte mir der Gartenmeister Joseph eine Apotheke empfohlen, die zwanzig Reitminuten südöstlich von hier in Wanhausen lag. Ihre Inhaberin, eine Frau Scholl, solle über ein reiches Arsenal an Arzneisubstanzen verfügen. Eine viel versprechende Aussicht.
N ach dem Frühstück des folgenden Tages befand ich mich auf dem Weg zu jener Apotheke. Die Verantwortung für die Heilgetränke wie auch für eine nahrhafte Dinkelbrühe, falls der Baron doch schon nach einer kleinen Speise verlangen sollte, hatte ich Frowin übertragen, und das Mittagsmahl für die anderen konnten die Köche auch ohne mich vorbereiten, Sicher genossen sie es ohnehin, mich Besserwisserin für eine Stunde nicht ertragen zu müssen.
Wanhausen war kleiner als Erlenrode und auch als Randau, besaß jedoch bessere Kaufläden. Deshalb beschloss ich, Frowin heute Nachmittag hierher zu schicken, um für Pfingsten in der hiesigen Schlachterei Bratenfleisch zu besorgen.
Die Apotheke hatte ich dann schnell gefunden, und als ich eingetreten war, erfreute ich mich an dem Anblick der unzähligen Gefäße und Schachteln in den Holzregalen, die den mir altvertrauten Duft verströmten. Indessen lächelte mich von der Theke her verkaufsbereit eine junge Frau an, von der ich wusste, dass sie nicht Frau Scholl sein konnte, denn die sollte älter und recht kleingewachsen sein. Dennoch nannte ich der Verkäuferin zunächst die verschiedenen Pulver und Essenzen, die ich benötigte, und als ich ihr danach die sechs von mir gewünschten Trockenkräuter aufzählte, ertönte hinter den Regalen eine piepsige Stimme, die sich wie die eines Kleinkindes anhörte: „Warte, Ilse, das übernehme ich.“
Gleich drauf trat zwischen den Regalen eine etwa fünfzigjährige, zwergwüchsige Frau hervor, lächelte mich freundlich an und kam mit flinken kleinen Schritten auf mich zu. Sie reichte mir zum Gruß die Hand, und wir stellten einander vor - sie war Frau Scholl.
„Ihr seid Expertin“, piepste sie zu mir hoch, „wo habt Ihr studiert?“
„In einem schwäbischen Kloster. Ich bin Heilköchin, seit vorgestern
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