Hexen: Vier historische Romane (German Edition)
Schranken: „Schützefrauen fassen mitunter ein unangemessenes Ziel ins Auge.“
Darauf errötete sie, und wir verließen an ihr vorbei die Stube.
Aber es war ohnehin fast Abendbrotzeit geworden, und auf dem Flur bat mich Raimund, sich übermorgen vor seinem Aufbruch in die Winterferien am Schultor von mir verabschieden zu dürfen. Ich versprach ihm, dort auf ihn zu warten, worauf ich mich auf den Weg zum Kloster begab und er sich unter unsere Mitschüler mischte.
D ie Äbtissin hatte mir zu Weihnachten einen Wunschtraum erfüllt, Mithilfe unseres Stallmeisters hatte ich mir auf dem Hechinger Rossmarkt ein Reitpferd aussuchen dürfen. Meine Wahl war auf die lebhafte Fuchsstute Reike gefallen. Damit nicht genug, beim anschließenden Erwerb der Reitausrüstung hatte ich mir nicht einen Damen- sondern einen Herrensattel auswählen dürfen.
Seitdem war kein Tag vergangen, an dem ich in meinem neuen Reitrock auf Reike nicht reiten geübt hatte, allerdings nur auf dem Schulgelände, ausreiten wollte ich erst ab Ostern. Ich wunderte mich, wie viele Freiheiten mir die Äbtissin in letzter Zeit zugestand, und als ich sie darauf ansprach, erklärte sie mir, ich sollte in keiner Weise mehr hinter meinen Mitschülern zurückstehen. - Auf Veranlassung meiner Eltern?
Unterdessen hatte die Schule wieder begonnen, und Raimund begegnete mir so liebenswürdig wie zuvor, bat mich jedoch um kein neuerliches Treffen. Bedauerlich, denn ich beobachtete, wie emsig er die Bibliothek besuchte, weshalb ich mich gerne wieder mit ihm über die Hildegardthemen unterhalten hätte - mochte allerdings auch sein, dass ich mich schlichtweg nach seiner Nähe sehnte. Ich verstand mich selbst nicht mehr, wie auch? Meine Gefühle zu einem Mann waren taufrisch, ich musste sie erst ergründen und dann lernen, mit ihnen umzugehen. Wobei mir glücklicherweise die erfahrene Angelika, der ich mich ansatzweise anvertraut hatte, behilflich sein will.
Dazu saßen Angelika und ich an einem nasskalten Vorfrühlingsabend in meiner beheizten Stube, und ich berichtete ihr von Raimund, ohne seinen Namen zu nennen. Sie hörte aufmerksam zu und äußerte schließlich: „Habe Geduld mit ihm und auch mit dir selbst. Deiner Schilderung nach ist der junge Herr verliebt in dich, ist aber schüchtern, ebenso wie damals mein Willibald. Auch Willibald hatte anfangs kaum gewagt, mich anzusprechen, und noch schwerer war es ihm dann gefallen, mich um ein Rendezvous zu bitten.“
„Dann erkläre bitte einer naiven Jungfer, wie sie sich unter dieser Voraussetzung verhalten soll.“
„Tora, wie oft muss ich dich noch bitten, dich nicht für naiv zu halten, vielmehr bist du vom Leben nicht ‚verbildet’ worden. Ein nicht zu unterschätzender Vorzug, weil du dir somit allem gegenüber eine objektive Sicht bewahrt hast. Wer sonst kann das schon von sich behaupten.“
Halbwegs einsichtig nickte ich.
Sie schaute mich noch einen Moment eindringlich an, lächelte dann und griff unser unterbrochenes Thema wieder auf: „Soviel ist zumindest ersichtlich, Tora, du stichst von deinen Mitschülerinnen ab, demnach gefällt ihm deine Natürlichkeit, deine Offenherzigkeit und fraglos auch dein Witz.“
„Schwester Angelika, bitte, werde genauer.“
„Genauer“, wiederholte sie, schob mir freundschaftlich ihre Hand über das Schreibpult entgegen und riet mir: „Bleibe du selbst, Tora, bleibe natürlich und offen.“
I ch selbst bleiben. Ich hatte einen umfangreicheren Rat von Angelika erwartet, vielleicht auch einen raffinierten. Dennoch erkannte ich bald die Logik in ihrer Empfehlung und befolgte sie, so gut es mir gelang, wodurch ich Raimund gegenüber tatsächlich etwas sicherer wurde.
Zu meiner Verwunderung sah ich heute beim Betreten des Stalls Raimund bei meiner Reike stehen, und während ich näher trat, erkundigte er sich: „Wie heißt denn deine prachtvolle Fuchsdame?“
„Reike. Freut mich, dass sie dir gefällt.“
„Das tut sie, fast so sehr wie ihre Herrin.“
Das Kompliment löste augenblicklich wieder ein Gefühlschaos in mir aus, dem ich mit einem inneren Befehl entgegenwirkte - natürlich bleiben, ganz natürlich bleiben. Raimund bot mir an, Reike zu satteln, und ich nahm dankbar an: „Gerne, aber mit dem Herrensattel dort.“
„Weiß ich doch, ich habe dich oft genug darauf bewundert.“
Das war mir weniger angenehm, denn den meisten missfiel der Anblick einer Dame im Herrensitz, besonders der einer Adeligen. Doch Raimund hatte ‚bewundert’ gesagt, hatte also
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